23.05.1997



Interview mit Günter Wallraff

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*   "Öcalan hat sich mehrfach mit Jesus verglichen"
Von Pascal Beucker

Die kurdische Arbeiterpartei PKK nimmt den Journalisten und Schriftsteller Günter Wallraff unter Beschuß. Der habe ein Interview mit PKK-Chef Abdullah Öcalan so manipuliert, daß Öcalan besonders böswillig erscheint. Wallraff widerspricht.

Herr Wallraff, die PKK scheint mit Ihrer Auswertung des Treffens mit Abdullah Öcalan vom Dezember letzten Jahres nicht ganz zufrieden zu sein. Der iranisch-kurdische Schriftsteller Ali Ghasi, der sich als Sprecher von Öcalan in der Bundesrepublik versteht, wird in der Frankfurter Rundschau mit den Worten zitiert: "Alles, was Günter Wallraff sagt, ist erstunken und erlogen."

Günter Wallraff: Ali Ghasi wird das wohl in der Erregung so herausgerutscht sein. Es ist ihm allerdings wider besseren Wissens "herausgerutscht", weil er genau weiß, dass die Kernsätze nicht nur so gesagt wurden, wie sie veröffentlicht worden sind, sondern Öcalan immer wieder noch viel Schlimmeres von sich gibt. Abdullah Öcalan hat zum Beispiel über seine eigenen kurdischen Landsleute auch gesagt, und da zitiere ich aus einem der PKK-eigenen Mitteilungsblätter: "Ihr seid äußerst verkommen, ärmlich und zu nichts anderem in der Lage, als euch erschießen zu lassen." Oder er verkündet an einer anderen Stelle: "Man sagt uns nach, dass wir die, die sich von uns trennen als 'agent provocateur' erschießen. Wir haben immer gesagt: 'Dies ist eine Situation von Notwehr. Wer uns ausschalten will, egal ob im Westen oder im Osten, dem kommen wir zuvor!'" Das kann man alles nachlesen, alles von der PKK autorisiert. Aber ich muss Ali Ghasi insofern auch etwas in Schutz nehmen, als dass er immerhin diese Reise ermöglicht hat und jetzt unter enormen Druck steht. Er verspricht sich von seinen Initiativen, die immerhin auch humanitärer Art sind und auf den Einstieg in Friedensverhandlungen abzielen, dass die PKK irgendwann wieder gesellschaftsfähig werden kann. Irgendwer hat ihn mal den "Schafspelz der PKK" genannt, man könnte ihn auch den Anstandswauwau dieser Organisation nennen. Er versucht langfristig, so eine Art ständiger diplomatischer Vertreter der PKK in Deutschland zu werden, von daher ist sein Entscheidungsspielraum doch sehr eingeschränkt.

Die in der Zeit als auch in Çürükkayas PKK-Buch abgedruckten Fassungen Ihres Interviews mit Öcalan vermitteln den Eindruck eines zusammenhängenden Gespräches. Ihnen wird jedoch vorgeworfen, dass es sich hier um eine, nicht als solche gekennzeichnete, Gesprächsmontage handelt.

Günter Wallraff: Im Vortext des Gesprächs steht ausdrücklich, dass es sich um "Auszüge" handelt, die "im Zusammenhang mit Çürükkayas Buch wichtig sind", und nur ein Teil des Gesprächs im Beisein der PKK-Kämpfer stattfand. Und was heißt schon Montage? Die Zitate sind wortwörtlich in dem Zusammenhang gesagt worden. Nur: Er hat viel mehr gesagt. Er hat über Gott und die Welt geredet. Was ich gebracht habe, waren die Äußerungen, die einen Bezug zu Çürükkayas Buch hatten. Es gab ein Vorgespräch, ein Tischgespräch und dann das Gespräch vor seinen Kämpfern. Der Großteil der Öcalan-Aussagen wird übrigens überhaupt nicht bestritten, auch nicht in dem Papier vom Kölner Kurdistan-Informationsbüro, das eine sehr schlechte Übersetzung ist. Aber als Öcalan zum Abschied, als er uns zum Wagen brachte, die Aufhebung des Mordbefehls wieder aufhob mit der Formulierung, er könne nichts dafür, "wenn ein Unfall passiert", war niemand vom Kurdistan-Informationsbüro anwesend. Da war Ali Ghasi dabei, der jedoch etliche Schritte beiseite stand und der, selbst wenn er es gehört hätte, das nie zugeben könnte, weil das seiner Mission enorm schadet. Aber Helmut Oberdiek kann den Satz bezeugen. Er hat ihn eindeutig gehört und sofort noch im Wagen thematisiert. Wenn der mitanwesende Grünen-Politiker laut Neues Deutschland diesen Satz ebenfalls nicht gehört haben will, ist dies korrekt, denn er versteht kein Wort türkisch.

Ein Satz ist unbestritten gesagt worden: Çürükkaya hätte sich "an unseren heiligsten Werten vergangen". Doch der Satz soll nicht von Öcalan stammen, wie es in dem Interview steht, sondern von dem PKK-Mitglied Sakine Cansiz.

Günter Wallraff: Öcalan hat das an einer anderen Stelle sinngemäß auch so gesagt. So wird ihm hier in keiner Weise irgendwas unterstellt, was nicht seine Meinung ist. An dieser einen Stelle gibt es tatsächlich eine kleine Zuordnung aus einem anderen Zusammenhang, aber inhaltlich ist es das Gleiche.

Das Kölner Kurdistan-Informationsbüro hat bei anderen Passagen des Interviews Übersetzungen vorgelegt, die inhaltlich von Ihrer Version stark abweichen. Beispielsweise zitieren Sie Öcalan mit den Worten: "Meine Art und Weise ähnelt dem heiligen Christus". In der anderen Version heißt es: "Günter, du sagst, ich bin Jesus verbunden. Die ihn leben, findest du hier."

Günter Wallraff: Wortwörtlich hat er es so gesagt, wie es in meinem Interview-Text geschrieben steht. Dafür hat sich Helmt Oberdiek sogar mit einer eidesstattlichen Erklärung verbürgt. Diese andere Übersetzung ist schludrig, schlampig und sehr verstümmelt. Da sind Fetzen aus dem Zusammenhang gerissen worden. Öcalan hat sich bei unserem Treffen sogar mehrfach mit Christus verglichen. So referierte er mir die Motivation einer deutschen PKK-Kämpferin mit den Worten: "Sie sagt ja, ich bin dem heiligen Jesus verbunden, darum geht es. Dies ist jemand, die es erlebt." Es gibt allerdings noch eine Gesprächsfassung – die hat Arne Ruth, der Chefredakteur der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheder, vom Türkischen ins Schwedische übersetzen lassen. Bis auf kleine Abweichungen, die den Nuancenunterschieden von Übersetzern geschuldet sind, ist die inhaltlich mit meiner Fassung identisch. Auch in Schweden hat die PKK dagegen protestiert und Arne Ruth in ihren Mitteilungsblättern gar zum Mossad-Agenten ernannt. Ausgerechnet Arne Ruth – ein Kollege, der absolut integer ist und sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt. Ruth war übrigens derjenige, der Yasar Kemal zu seinem Schweden-Aufenthalt eingeladen hat.

Abdullah Öcalan hat Sie am Ende Ihres Treffens mit ihm zu weiteren Gesprächen eingeladen. Steht die Einladung immer noch?

Günter Wallraff: Ich glaube kaum, weil ich mich halt nicht wohl verhalten habe und auch nicht instrumentalisieren ließ. Die Aufforderung, ihn zu "analysieren", das ist so einer seiner Standardbegriffe, habe ich wohl anders vorgenommen, als er das gewohnt war. Von daher würde ich zwar das Gespräch fortsetzen, aber ich glaube kaum, dass dies gegenwärtig möglich ist.

Was versprechen Sie sich überhaupt von solchen Treffen mit "Apo"?

Günter Wallraff: Ich bin zu Öcalan gereist mit dem erklärten Ziel, einen Mordbefehl aufzuheben. Es schien zunächst so, als ob es gelingen könnte, wurde dann aber bei der Verabschiedung wieder rückgängig gemacht. Ich werde ihm solange zusetzen, bis die Morddrohung vom Tisch ist! Da bin ich im Wort, sowohl bei Selim Çürükkaya, als auch gegenüber der freien Meinungsäußerung. Das sehe ich auch als eine kollegiale, solidarische Initiative – wenn das mehr machen würden, wäre es vielleicht auch schon längst gelungen.

Sie sprechen von der Aufhebung der Morddrohung als "Mindesterfolg". Worum geht es Ihnen noch?

Günter Wallraff: Jemanden, der sich als Maß aller Dinge versteht und eine Selbstherrlichkeit an den Tag legt, die man sonst von Sektenführern kennt, oder auch vom Personenkult des Stalinismus gewohnt ist, die Meinung zu sagen und auch das Ritual der Unterwürfigkeit zu durchbrechen vor seinen eigenen Leuten, ändert ihn vielleicht nicht, aber kann doch zur Nachdenklichkeit führen. Vielleicht kann das zu ersten zarten Ansätzen von Selbstkritik führen. Das wäre ein Erfolg. Wenn es so eine Möglichkeit gibt, muss es versucht werden, sie zu nutzen – es ist eine Voraussetzung politischer Kultur, es zu versuchen.

Ihre bisherigen Bemühungen waren nicht von großem Erfolg gekrönt. Die Kritik an Ihnen aus PKK-Kreisen geht deutlich über den Vorwurf der Textmanipulation hinaus. Sie würden gemeinsame Sache mit dem türkischen Staat machen.

Günter Wallraff: Die PKK hat sich das Treffen im Dezember natürlich anders vorgestellt. Deswegen wird nun versucht, mich zu verleumden. Um die eigene Verschwörermentalität zu kaschieren, wird mir das unterstellt, was man selber tut. Da wird zum Beispiel jetzt in den entsprechenden Mitteilungsblättern behauptet, ich sei ein Agent des türkischen Geheimdienstes, ich hätte beste Beziehungen zum türkischen Staat. Dabei wissen sie, dass ich über keinerlei Beziehungen, weder offiziell noch inoffiziell, zum türkische Staat verfüge. Aber jemand, der wie Öcalan selber fremdbestimmt als eine Art Agent des syrischen Staates fungiert, der kann sich unter Umständen nur vorstellen, dass jemand ein Risiko auf sich nimmt, wenn es von woanders her beauftragt ist. Sie kommen sonst mit dem eigenen Weltbild nicht mehr zurecht. Widerwärtig wird es allerdings, wie sie gleichzeitig weiter auch Selim Çürükkaya verleumden – wider besseres Wissen.

Was genau wirft ihm die PKK vor?

Günter Wallraff: Da wird behauptet, er sei ein Kronzeuge, er hätte hier, mit Pässen, Geld und Gesichtskosmetik von deutschen Behörden ausgestattet, eine neue Identität angenommen. Das wird ihm in Mitteilungsblättern angehängt und damit dieser Mordbefehl weiter aufrecht erhalten. Das ist verbrecherisch und ein Vorgehen, das die gesamte Politik der PKK diskreditiert. Genau das Gegenteil war der Fall, ich habe mich davon überzeugt: Selim Çürükkaya und seine Frau haben sich geweigert, hier in Prozessen auszusagen und wurden daraufhin beide in Beugehaft genommen. Selim wurde dann polizeilich vorgeführt in einem Verfahren in Hamburg und sah sich im Gerichtssaal plötzlich einer Anzahl von Kurden gegenüber, die dort als Zuschauer waren. Man hatte verbreitet, an dem Tag würde Çürükkaya aussagen. Er hat zur Sache nichts gesagt, sondern eine Grundsatzerklärung abgegeben und prozessual nicht zum Erfolg beigetragen. Denn sein Selbstverständnis ist, dass auch andere von sich aus den Weg gehen und sich selber kritisch verhalten sollen, um so eine Demokratisierung einzuleiten. Während der Verhandlung wurde er gefragt, ob er Personen im Gerichtssaal erkenne. Obwohl er etliche erkannte, auch solche, die Verbrechen begangen hatten, hat er keinen identifiziert. Obwohl allen bekannt ist, dass er vor Gericht keinen belastet hat, wird er dennoch als Kronzeuge diffamiert und ist so auch weiter mit dem Tode bedroht.

Wie geht es Selim Çürükkaya?

Günter Wallraff: Er kann sich nicht frei bewegen. Er kann nicht mal Einkaufen gehen. Wenn man seiner habhaft würde, drohte ihm – wie es auch anderen Freunden ergangen ist – jederzeit die Ermordung. Dabei hat Çürükkaya auch in seinem Buch mehr als deutlich gemacht, wie er zum kurdischen Befreiungskampf steht. Seine Haltung gegenüber dem türkischen Staat ist eindeutig: Ein Bruder von ihm ist gerade im Kampf in den Bergen von den Militärs getötet worden. Eine Schwester seiner Frau, die nichts mit der PKK und nichts mit dem Widerstand zu tun hatte, die darauf bestand, aus dem Ganzen rausgehalten zu werden, wurde 1992 zum örtlichen Militärkommandanten von Tunceli zitiert. Sie wurde nach ihrer Schwester befragt, die damals noch eine PKK- Kommandantin war. Sie hat wahrheitsgemäß geantwortet, dass sie keinerlei Kontakt hat, und wurde zwei Wochen danach verstümmelt, skalpiert, mit abgeschnittener Nase, abgeschnittenen Ohren vor einem Friedhof gefunden. Ausgeführt von einer türkischen Todesschwadron, das Motiv: Abschreckung der Bevölkerung.

Das von Ihnen protegierte Buch Çürükkayas "PKK – Die Diktatur des Abdullah Öcalan" veranschaulicht drastisch den Despotismus Öcalans. Doch die Rolle des Autoren selbst, der ja nicht nur ein kleiner Mitläufer war, sondern PKK-Gründungsmitglied und hoher Funktionär, bleibt dabei merkwürdig verschwommen. Wenn es um ihn selber geht, beweist Çürükkaya Mut zur Lücke – oder verheddert sich in Widersprüche. Wie erklären Sie sich das?

Günter Wallraff: Ich habe mit ihm darüber diskutiert. Ich habe den Eindruck, dass er noch unter Schock steht, dass er die elf Jahre in türkischen Gefängnissen noch nicht überwunden hat, aber auch nicht die Zeit danach im Ausbildungslager und im Hauptquartier des großen Führers. Er lebt seitdem fast durchgehend in Isolation, so dass von ihm längst noch nicht alles bewältigt ist. Ich kann mir vorstellen, dass es von ihm ein zweites Buch geben wird, wo er sich damit auseinandersetzt. Es ist ungerecht, aus einer sicheren Existenz heraus einem alles auf einmal abzuverlangen. Ich kann darüber nicht richten. Die Bedeutung des Buches liegt vor allem darin, dass es das erste Mal ist, dass jemand überhaupt an dieses Tabu heranrührt und versucht, eine Öffentlichkeit herzustellen – ohne überzulaufen, ohne sich instrumentalisieren zu lassen. Ich bekomme Zuschriften, es finden Gespräche statt, auch mit Linken und in der Solidaritätsarbeit Engagierten, die jetzt mehr hinterfragen und sagen: Das wussten wir alles nicht, das haben wir alles nicht berücksichtigt, und wir sollten uns nicht so unmündig, so autoritätsfixiert verhalten. Wir sollten jetzt selber auch diejenigen, denen wir ideologisch nahestehen, in die Diskussion zwingen, und uns da nicht mehr mit solchen Plattitüden abspeisen lassen. Allzu viele rechtfertigen sich immer noch: Wenn wir das, was wir alles wissen, öffentlich machen, dann nützt das dem politischen Gegner. Von daher ist es immer noch unverbindlich. Insgesamt bleibt jedoch das Problem, dass im breiteren Rahmen nicht über das Buch diskutiert wird. Es wird ausgeklammert, das Tabu PKK-Kritik bleibt weitgehend bestehen. Zum Teil sind das Abhängigkeiten, zum Teil ist es Angst, zum Teil Ignoranz und/oder auch taktisches Verhalten. Das empfinde ich bisher als das Hauptdilemma.

Verwundert Sie das ernsthaft? Dass die PKK in ihren Methoden nicht zimperlich ist, ist lange schon bekannt. Doch das wurde innerhalb weiter Teile der Linken hingenommen, weil irgendwie der "nationale Befreiungskampf" der Kurden gegen ihre Unterdrücker scheinbar alles rechtfertigt.

Günter Wallraff: Das war eine ähnliche Situation zu Zeiten Pol Pots. Obwohl es kein Geheimnis war und auch innerhalb der Linken bekannt, dass hunderttausende – man weiß jetzt, es waren zwei Millionen – Menschen abgeschlachtet wurden, gab es innerhalb der Linken so gut wie keine öffentliche Kritik, von "machtvollen" Demonstrationen ganz zu Schweigen. Hier in einem kleineren Sinne – Öcalan ist ja noch nicht an der Macht – hat man scheinbar nichts daraus gelernt. Das ist das Beängstigende. Da herrscht eine Stupidität, herrschen Denkverbote, und man ist in einem ideologisierten dogmatischen Klischeedenken verfangen. Da zeigt sich, dass diejenigen, die sich so verhalten, selber nicht mündig sind, selber im Grunde genommen autoritäre Charaktere sind. Sie müssen erst noch sich selber emanzipieren und unter Beweis stellen, dass sie erwachsen werden.

Neben einigen linken Solidaritätsgruppen engagiert sich auch der CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer für Öcalan. Wie erklären Sie sich diese merkwürdige Allianz?

Günter Wallraff: Da kommen zum Teil Koalitionen zustande, die einen erst mal erschauern lassen. Aber wenn man es dann zu Ende denkt, gibt es vielleicht sogar eine gewisse Folgerichtigkeit und Konsequenz. Wenn man sieht, dass auch der Lummer seit jeher ein erklärter Nationalist ist, und ein Fundamentalist in seinen eigenen Reihen dazu, da können sich unter Umständen zwei finden, sich in bestimmten Ressentiments wiedererkennen und irgendwo eine Seelenverwandtschaft entdecken – von Geistesverwandtschaft kann man ja hier wohl nicht sprechen. Das macht die Sache nur noch unheimlicher, genauso wenn Gauweiler jetzt sein Herz für die Ayatollahs entdeckt. Da haben sich die richtigen gefunden, und jenseits der unterschiedlichen Kulturen entstehen kuriose Koalitionen. Man kann jetzt noch darüber lachen und kann sagen: o.k., das sind irgendwelche einzelne Durchgeknallte, nicht erstzunehmende Außenseiterfiguren. Aber das sind für mich unter Umständen Vorboten von ganz neuartigen, bizarren Fraktionen. Wie weit natürlich so ein Lummer auch geheimdienstliche Interessen hat, nebenbei noch als BND-Beauftragter diese Gespräche führt, entzieht sich meiner Kenntnis. Nur, wenn da dieser deutschtümelnde Nationalist und dieser kurdischen Nationalistenführer sich mit völkischen Ressentiments begegnen, dann kann einen schon eine Gänsehaut überziehen. Wenn Öcalan davon spricht, kurdische Menschen hätten die Bundesrepublik "verschmutzt", und es hätte sich "berechtigterweise" Rassismus dagegen breit gemacht, dann hätte dies Lummer nicht besser formulieren können.

Sie stehen seit einigen Monaten unter Polizeischutz. Wovor haben Sie Angst?

Günter Wallraff: Ich habe überhaupt keine Angst. Es wäre auch das Schlimmste, wenn man denen gegenüber Angst zeigt, weil sie es bisher so erreicht haben, dass Menschen gekuscht, sich weggeduckt haben. Wenn keiner Angst zeigt, kommen sie ja mit solchen Drohungen auch nicht weiter und dann läuft das leer. Also muss ich dies wirklich betonen, ausdrücklich und nicht aus taktischen Gründen: Ich zeige nicht nur keine Angst, ich habe auch keine Angst. Meinen normalen Rhythmus habe ich nicht unterbrochen.

Trotzdem stehen Sie unter Polizeischutz?

Günter Wallraff: Ja, eine reine Vorsichtsmaßnahme. Ich hatte früher schon ernstere Bedrohungen. Nachdem ich die Putschpläne des portugiesischen Ex-Staatspräsidenten Spinola enthüllt hatte und die Unterstützung durch Franz-Josef Strauß herauskam, thematisierte Willy Brandt die Affäre im Parlament. Es gab erst mal schriftliche Drohungen und dann wurden meine Arbeitsräume von Rechtsradikalen in Brand gesteckt. Jetzt sehe ich meine Bedrohung nicht so akut, wie die von Selim Çürükkaya, der wirklich von denen nach wie vor als Verräter gebrandmarkt wird. Bei mir würde es ihrer eigenen Sache schaden, es würde ihnen nichts bringen. Deswegen gehe ich auch nicht davon aus, dass die Drohungen ihren Ursprung bei Öcalan selber haben. Es geht hier nicht um mich, ich bin demnächst wieder untergetaucht und anonymisiert – das ist der beste Schutz. Auch meine Familie hat Möglichkeiten. Übrigens: Man kann ihnen vieles nachsagen, aber so etwas wie Sippenhaft, dass Kinder oder Frauen dann mit dran glauben müssen, ist nicht der Stil der PKK.

Eine Zeitschrift hat behauptet, die Drohungen gegen Sie wären fiktiv. Sie wollten sich damit nur ins Gespräch bringen.

Günter Wallraff: Die Bunte hat behauptet, ich würde damit für mein Buch die Werbetrommel rühren. Sie wussten nicht mal, dass es um das Buch von Selim Çürükkaya ging. Da gibt es halt immer welche, die unterstellen ihre eigenen miesen Motive einem selbst und projizieren das. Ich kann dann tun und lassen, was ich will. In der Sache habe ich nun wirklich von mir völlig abstrahiert, um einem Kollegen Aufmerksamkeit zu verschaffen, um ein Buch, über das sonst keiner sprechen würde, in die Diskussion zu bringen. Ich habe das ohne einen Pfennig Honorarbeteiligung gemacht. Wenn man so will, kostet mich das nicht nur Zeit, sondern auch finanzielle Mittel. Ich hatte den Autor und seine Frau Aysel längere Zeit bei mir wohnen beziehungsweise versteckt. Ich habe erst mal die Übersetzung vorfinanziert und habe zwei Jahre einen Verlag gesucht, der das Risiko eingehen wollte, das Buch zu veröffentlichen. Als dann Drohungen eingingen und die Polizei kam und sagte, von einem Anschlag müsse ausgegangen werden, habe ich das nicht an die große Glocke gehangen. Es gab über mich nicht-autorisierte überzogene Meldungen, die ich relativiert habe. Ich habe immer klargestellt: Es geht hier nicht um meine Gefährdung, es geht um Selim Çürükkaya. Solche Vorwürfe gegen mich sind also durchschaubare Geschichten. In der Süddeutschen Zeitung ist mir vorgeworfen worden, ich würde jetzt einen – wortwörtlich – "Kreuzzug" durch die Talkshows starten. Ich war in einer einzigen, weil sie schon vor Erscheinen des Buches festgemacht war. Das war "Willemsens Woche". Es ging insgesamt um meine Arbeit, und wir kamen dann auch auf dieses Buch zu sprechen.

Was bedeutet Ihre scharfe Kritik an der PKK für Ihren bisherigen Einsatz für eine Friedensperspektive in den kurdischen Gebieten der Türkei?

Günter Wallraff: Ungeachtet der ganzen Diffamierungs- und Verleumdungsversuche dieser PKK-Politsektenfunktionäre, bemühe ich mich weiterhin um eine Friedensvermittlung, weil man Öcalan an diesem Punkt ernstnehmen muss. Da streckt er seine Hand aus und macht auch ohne die Forderung nach Vorleistungen Angebote, gefangene Soldaten, gefangene Dorfschützer freizulassen. Nur da stellt sich die türkische Regierung absolut stur. Die würden lieber ihre eigenen Leute verrecken lassen, als sich auf eine Verhandlung einzulassen. Hier muss die türkische Regierung weiter und verstärkt unter Druck gesetzt werden. Und was die Bundesrepublik anbetrifft: Ich bin weiterhin für die Aufhebung des PKK-Verbotes. Denn eine Partei, die legal wird, kann auch ganz anders in die öffentliche Diskussion einbezogen werden. Im Hinblick auf eine langfristige Demokratisierung der PKK wäre es förderlich, sie wieder zuzulassen.

Bei der Präsentation des Çürükkaya-Buches im Frühjahr haben Sie angekündigt, in nächster Zeit in die Türkei fahren zu wollen, um sich dort für bedrängte Schriftsteller einzusetzen. Die Reise sollte in diesen Tagen stattfinden. Haben Sie in letzter Sekunde doch noch kalte Füße bekommen?

Günter Wallraff: Nein, im Gegenteil. Es war alles vorbereitet. Cem Özdemir von den Grünen wäre auch mitgeflogen. Wir wollten in die kurdischen Gebiete, unter anderem nach Dersim, heute Tunceli. Einen Tag vor der Reise wurde uns die Einreise verweigert mit der Begründung, die Sicherheit könne nicht garantiert werden, was auch immer das heißen mag. Diese vermeintliche Gefährdung sehe ich als Ausrede an. Ich glaube, das türkische Militär will keine Zeugen da haben, wo jetzt gerade wieder eine militärische Offensive in diesem Gebiet gestartet worden ist. Aber das wird mich nicht davon abhalten, zu einem nicht vorher bekanntgegebenen Termin dahin zu kommen, wo ich hin will.

Die innenpolitische Lage in der Türkei spitzt sich zu. Die Konfrontation zwischen der islamistischen Bewegung des Ministerpräsidenten Erbakan mit dem türkischen Militär gewinnt an Schärfe. Welche Perspektive sehen Sie für die Türkei? Und: Sehen Sie irgendwelche Ansatzpunkte für eine demokratische Entwicklung?

Günter Wallraff: Ich bin kein Prophet. Die Situation ist dermaßen kompliziert, verfahren, verzweifelt, dass hier jede Prognose reine Wahrsagerei wäre. Hier sind wahrscheinlich noch die Gesetze des Chaos am wirken, was besagt, dass in solchen Situationen oft das Unvorhersehbare eintrifft. Alles ist in solchen Situationen möglich. Es ist ein Militärputsch unter Umständen möglich, aber auch eine spätere Machtübernahme der Islamisten nicht unmöglich. Ich habe schon zu einem Zeitpunkt, als die Islamisten noch gar nicht so viel Potential zu haben schienen, darauf hingewiesen, dass bei uns der Nationalsozialismus auch erst mal völlig legal durch Wahlen an die Macht kommen konnte, und dass Erbakan demnächst ein Drittel des Wählerpotentials haben dürfte. Ich bin weit entfernt davon Erbakan mit Hitler vergleichen zu wollen, aber es gibt strukturelle Ähnlichkeiten. Damals wurde ich auch von türkischen Intellektuellen der Übertreibung bezichtigt. Sie sagten: Ach, da gibt es solche und solche, und mit denen kommen wir schon irgendwie hin, man kann sich arrangieren. Heute haben diese Freunde eine andere Meinung. Ich sehe nach wie vor im Islamismus die Hauptbedrohung für die nächsten Jahre. Das wird noch mal das ganze Kurdenproblem überlagern. Die Kurden, die vom türkischen Militär aus ihren Dörfern, aus ihren ganzen Heimatgebieten vertrieben worden sind und noch vertrieben werden, das sind Millionen Menschen, ganze Strukturen werden da entvölkert, die werden geradezu den Islamisten in die Arme getrieben. Diese entwurzelten Menschen sitzen dann völlig desorientiert und verelendet unter Umständen solchen Heilsversprechungen auf. Die Islamisten schaffen es auch, über Armenküchen, Nachbarschaftshilfen sich vor Ort erst mal beliebt zu machen. Nachher schnappt dann die Falle zu. Überall da, wo die Islamisten an die Macht gekommen sind, verlieren sie den Rückhalt der Bevölkerungsmehrheit, aber dann ist es in der Regel zu spät. Erbakan hat ja auch ganz offiziell in aller Öffentlichkeit verkündet, wenn sie die Regierungsgewalt hätten, würden sie ganz demokratisch abstimmen, ob es noch Wahlen geben solle oder nicht. Sie wären eine demokratische Partei, und wenn die Mehrheit sich gegen Wahlen ausspräche, hätten sie ihren islamischen "Gottesstaat", und das wäre dann eine demokratische Lösung. Andererseits sehe ich jedoch auch eine gegenläufige Entwicklung in der Türkei: dass die laizistischen Kräfte gesellschaftlich viel stärker verankert sind, als damals im Iran.

Kommt man nicht ohnehin in die Schwierigkeit, dass wenn man davor warnt, vor dem aufstrebenden Islamismus, dass man sehr leicht in die Ecke kommt, das herrschende türkische Militär zu rechtfertigen?

Günter Wallraff: Da kann man nur vor warnen. Es ist ein Irrglauben, das Militär sei ein Vertreter einer säkularisierten Türkei. In den unteren Offiziersrängen, erst recht bei den normalen Soldaten und auch im Polizeiapparat haben die Islamisten schon Mehrheiten. Außerdem: Das Militär verhindert eine grundlegende gesellschaftliche Demokratisierung, die noch immer der beste Schutz gegen Islamismus ist. Ich habe die Türkei eine Militärdemokratur genannt, weil das Militär letztlich regiert, herrscht. Da gibt es welche, die das als kleineres Übel ansehen, doch diese Rechnung geht absolut nicht auf. Wer auf diese Karte setzt, der soll sich mal Algerien ansehen, was daraus wird. Ich würde umgekehrt sagen: Wenn das Militär heute den Kurdenkrieg beenden würde und die dadurch freiwerdenden finanziellen Mittel – im Jahr zirka 10 Milliarden Dollar – eingesetzt würden, um der zunehmenden Verelendung entgegenzuwirken, um die Möglichkeiten von Ausbildung, Bildung und Arbeit zu verbessern, würde der Islamismus massiv geschwächt. Um die 50 Prozent des gesamten Haushalts kommt ja dem Militär zugute, da begründen sie auch ihre Vormachtstellung drauf. Von daher ist an erster Stelle das Militär und ihre politischen Handlanger verantwortlich zu machen für das Dilemma, was herrscht, und der Islamismus profitiert davon.

Liegen die Ursachen für den erstarkenden Islamismus nicht allerdings auch in der Politik des Westens gegenüber islamisch geprägten Staaten?

Günter Wallraff: Durchaus. Ich habe den Eindruck, dass diese islamistischen Erfolge mit darauf zurückzuführen sind, dass man sich auch vom Westen im Stich gelassen und verachtet sieht, oder zumindest als minderwertig eingestuft. Dass von daher selbst Intellektuelle plötzlich sagen: Wir wollen mit dem Westen nichts mehr zu tun haben, wir wollen auch keine Entwicklungshilfe, wir wollen unsere eigene Tradition leben. Ich hatte zum Beispiel mit afrikanischen Intellektuellen zu tun gehabt, die mir das offen erklärt haben und mich missionieren wollten. Das waren sogar ehemalige Linke, darunter einer, der vorher als Maoist in China ausgebildet worden war, und nahtlos zum Funktionär des Islamismus wurde. Das ist eine Trotzhaltung, ein Dichtmachen. Da wird sich auf eine Tradition besonnen, die stehengeblieben ist und sich nicht mehr neu definiert. Ich sehe als ganz große Zukunftsgefahren: Zunehmender Nationalismus statt Internationalismus, statt Weltbürgertum, und eine Religion als Korsett und als Fundament, die sich auch nicht mehr erneuert, die Menschen Denkverbote auferlegt. Wer diese religiösen Gesetze befolgt, und das fängt ja bei den Kindern an, dem bleibt dann kaum noch Platz für die wirklichen Zusammenhänge des Lebens. Das ist zivilisationsfeindlich, fortschrittsfeindlich und ein Rückfall in Formen, die ja auch der Katholizismus nicht zu knapp gehabt hat. Solche Formen sind im Grunde genommen nicht überlebensfähig, von daher ist wiederum das Ende dieser Bewegung auch abzusehen. Nur: Wie viele Menschen bleiben dabei auf der Strecke, was wird da alles niedergemacht, und was bleibt zurück? Es alleine dem Westen jetzt in die Schuhe zu schieben, ist allerdings sehr verkürzt. Das ist auch wiederum nur durch Denkverbote zu erklären.

Ist es nicht ein Produkt der gesellschaftlichen Ausgrenzung, dass beispielsweise türkische Jugendliche, die in der zweiten, dritten Generation hier leben, plötzlich für sich den türkischen Nationalismus und den Islam hier entdecken?

Günter Wallraff: Das ist natürlich durch dieses Underdogbewußtsein angestoßen. Die in der Bundesrepublik lebenden türkischen Menschen werden zum Teil immer noch rassistisch herabgesetzt und verachtet. Und aus diesem Lebensgefühl heraus ist das ein Halt, ist das ein Klammern an etwas von dem man meint, dass es noch bleibt, noch eine Konstante ist und auch einen Schutz bietet. Man darf die Jugendlichen, die sich dem jetzt verschreiben, nicht einfach abstempeln. Das sind zum Teil welche, die einfach nur ein Angebot wahrnehmen. Das fängt an bei Freizeiteinrichtungen, da bieten die Islamisten einiges. Und sie fragen erst mal nicht, ob jemand da die religiösen Gesetze befolgt oder nicht.

Nach dem Erscheinen Ihres Bestsellers "Ganz unten" haben Sie in Duisburg ein deutsch-türkisches Integrationsprojekt gestartet. Was ist aus dem Projekt inzwischen geworden?

Günter Wallraff: Ich habe im Kleinen da eine Initiative gestartet: die Stiftung "Zusammen-Leben" in Duisburg-Neudorf. Einzelne Kollegen haben das mit ausgesucht. Es ist ein Wohnmodell, eine Begegnungsstätte und ein Kommunikationszentrum entstanden. Es fing mit Nachhilfeunterricht für ausländische Schüler an. Die ersten haben jetzt ihr Abitur gemacht. Das Viertel war ursprünglich ein sozialer Brennpunkt, mit einer erheblichen Ausländerfeindlichkeit der deutschen Bevölkerung. Die Stiftung hat sich bewährt, da ist heute Ausländerfeindlichkeit in diesem kleinen Bereich überwunden. Es hat für alle nur Vorteile. Die Stiftung selbst steht allen zur Verfügung, egal welcher politischen Richtung. Es gibt auch islamistische Frauen, die da an einem medizinischen Aufklärungskurs teilnehmen, wo ich mich als Mann da wiederum gar nicht blicken lassen kann. Es gibt Kurden, die sich da einbringen. Es gibt Feste, es gibt Veranstaltungen, Aziz Nesin war dort gewesen, Hochzeiten werden da gefeiert – und auch Deutsche sind als Gäste mit dabei. Also es ist etwas, das im Kleinen vorlebt, was im Großen möglich wäre. Diese alte Arbeitersiedlung ist dadurch übrigens auch gerettet worden, die sollte abgerissen werden, und Schlichtbauten sollten dahin. Was vorher stigmatisiert wurde, wo andere einen großen Bogen drum machten, ist heute wieder lebendig. Ich will das überhaupt nicht überbewerten. Es ist eine kleine regionale Geschichte. Es ist im größeren Zusammenhang gesehen nur ein Tropfen auf den heißen Stein, doch immerhin ein Anfang.

In letzter Zeit haben Sie sich verstärkt mit den politischen Verhältnissen in der Türkei auseinandergesetzt. Was treibt Sie dazu, sich so nachdrücklich gerade um die Türkei zu kümmern?

Günter Wallraff: Ich habe mit meinem Buch "Ganz unten" einen übermäßigen Erfolg gehabt, dass ich es als eine Art Verpflichtung ansah und -sehe, mich für die Belange der hier lebenden türkischen Bevölkerung einzusetzen. Dadurch geriet ich manchmal auch in die Gefahr, vereinnahmt und auch missbraucht zu werden. Für mich war ein Schlüsselerlebnis, als ich in einer Moscheegemeinschaft einen Vortrag über Toleranz in den großen Religionen und auch den Missbrauch der Religionen hielt. Ich habe dort bestimmte Traditionen des Christentums scharf angegriffen, aber genauso den Islam nicht geschont. Und dann wurde nur das übersetzt, was denen in den Kram passte. Und es gab schon islamistische Zeitungen in der Türkei, die davon sprachen, ich hätte vor, zum Islam überzutreten. Während ich da wie ein nützlicher Idiot vorgeführt wurde, machte ein Freund von mir, ein schwedischer Journalist, eine Befragung unter den Versammelten zur Fatwa gegen Salman Rushdie – und alle, ohne Ausnahme, haben sich dafür ausgesprochen, zum Teil mit erheblichem Fanatismus. Das war für mich ein einschneidendes Erlebnis. Wir können jetzt nicht plötzlich da die Augen verschließen und das alles unter Verweis auf andere Kultureigenarten und so weiter billigen. Menschenrechte sind universal, und die Menschen, die dafür ihr Leben einsetzen, denen sind wir verpflichtet und nicht irgendwelchen übergeordneten finsteren Religionszusammenhängen.

Erklärt sich daraus auch Ihr Eintreten für Selim Çürükkaya?

Günter Wallraff: Ja. Man ist offen und zum richtigen Zeitpunkt begegnet man den richtigen Menschen. Dann lasse ich mich drauf ein und dann spielt auch die Zeit keine Rolle, die das Ganze beansprucht. So ist es auch hier. Ich habe ein größeres Thema, mit dem ich mich eigentlich schon seit Jahren schwertue und langsam reinwachse, auch unerkannt, erst mal wieder beiseitegeschoben, um mich jetzt auf diese überschaubare Sache einzulassen und auch eine Art Hilfestellung zu leisten. Ich nutze da meine Bekanntheit, um jemandem die Beachtung zu verschaffen, die ihm zusteht. Das habe ich zurzeit für Selim Çürükkaya erst mal erreicht. Als ich ihn jetzt wiedertraf, schien er aus seiner psychischen Erstarrung schon ein Stück herausgekommen. Er hat jetzt auch Kontakte zu kurdischen Freunden, die ihn bisher auch missverstanden haben. Es sind jedoch noch zu wenige.


Das Interview mit Günter Wallraff erschien in gekürzten Fassungen in der jungen Welt vom 16. Mai 1997 und der taz vom 23. Mai 1997. Der oben stehende Text ist die autorisierte ungekürzte Originalfassung. © Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.