08.04.1999



Interview mit Roland Appel

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taz

*   "Die Dinge stehen auf dem Kopf"
Von Pascal Beucker

Roland Appel, Fraktionssprecher der Grünen im Landtag, fordert die Beendigung der Luftangriffe gegen Jugoslawien und warnt vor einem Einsatz von Bodentruppen. Viele Grüne seien "innerlich zerissen", an eine Spaltung glaubt er aber nicht.

Die Aussage im Programm der Grünen zur Bundestagswahl 1998 ist eindeutig gewesen: "Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab." Was sagen Sie denjenigen, die jetzt der Partei den Rücken kehren, weil sie feststellen müssen: Mit Rot-Grün haben sie den Krieg gewählt?

Roland Appel: Ich sage ihnen, daß dies eine zu einfache Sichtweise ist. Sie sollten erkennen, daß Rot-Grün nur dann erfolgreich für eine Friedenspolitik in Europa aktiv sein kann, wenn es auch eine starke Friedensbewegung gibt. Es geht um Mehrheiten in der Bevölkerung. Nur leider ist es in der bundesdeutschen Gesellschaft gegenwärtig so, daß die pazifistischen und antimilitaristischen Kräfte real in der Minderheit sind. Aus den Grünen auszutreten, halte ich für den falschen Weg. Damit ändert man gar nichts, sondern begibt sich nur in den politischen Leerraum.

Trotzdem gibt es zahlreiche Austritte von Mitgliedern, die es für unerträglich halten, daß ausgerechnet unter einer rot-grünen Regierung wieder Bomben auf Belgrad geworfen werden.

Roland Appel: "Wieder Bomben auf Belgrad"? Also da würde ich sehr vorsichtig sein. Der Vergleich von Nazi-Bomben mit dem was die NATO - zugegebenermaßen gegen internationales Recht - macht, ist wohl absurd. Ich finde diese Gleichsetzung geschmacklos. Hier wird Unvergleichbares verglichen. So mag das Herr Milosevic sehen, ich nicht.

Umgekehrt haben gerade Grüne weniger Skrupel. Da wird zur grünen Wehrkraftertüchtigung eine Analogie nach der anderen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Jugoslawiens und dem Dritten Reich gezogen. Der grüne Bundestagsabgeordnete Helmut Lippelt rechtfertigt gar den deutschen Kriegseinsatz mit der Losung: "Nie wieder Auschwitz".

Roland Appel: Ich finde, daß man sich bei dieser Diskussion mit solchen Vergleichen zurückhalten muß. Das dient nicht dazu, einen klaren Kopf zu behalten. Aber klare Köpfe sind notwendig, um zu einem Stop der Angriffe und zu einer Verhandlungslösung zu kommen - und das ist dringend nötig.

Warum üben sich dann auch Grüne in Kriegspropaganda? So heißt es in einer Erklärung des Bundesvorstandes, über 570.000 Menschen befänden sich derzeit auf der Flucht. Mit derartig hohen Vertreibungszahlen operiert nicht einmal die NATO.

Roland Appel: Ich weiß nicht, aus welchen Quellen diese Zahlen stammen, aber sie sind doch auch nicht entscheidend. Mir ist es völlig egal, ob dort 200.000 oder 500.000 Menschen auf der Flucht sind. Die Frage ist, mit welchem Mittel die Vertreibungspolitik, die Milosevic betreibt, gestoppt werden kann. Dazu erscheinen mir sowohl Luftschläge als auch Bodentruppen ungeeignet.

Der Einsatz von NATO-Bodentruppen rückt allerdings immer näher.

Roland Appel: Einen solchen Einsatz halte ich für falsch. NATO-Bodentruppen würden eine Eskalation beinhalten, die weder der Zivilbevölkerung hilft, noch das Ziel erreichen kann, dem Morden von Milosevic ein Ende zu bereiten. Sie würden die serbische Bevölkerung nur noch weiter hinter Milosevic versammeln. Ich glaube, daß sich die politisch Verantwortlichen fragen lassen müssen, ob sie ein zweites Vietnam auf europäischem Boden riskieren wollen.

Welche Perspektive sehen Sie denn überhaupt noch, aus der gegenwärtig dominanten militärischen Logik wieder herauszukommen?

Roland Appel: Es gibt keine Alternative, als aus der militärischen Logik wieder herauszukommen. Das heißt, es muß so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch zurückgekehrt werden. Wenn wir nicht höllisch aufpassen, befinden wir uns tatsächlich auf der Rutschbahn zu einem Bodentruppeneinsatz. Die Gefahr ist gegeben. Ich habe bisher nicht erkennen können, daß die Luftschläge der NATO dazu geführt hätten, die Menschenrechtssituation im Kosovo um einen Deut zu verbessern. Die Flüchtlinge sind dadurch nicht geschützt worden. Im Gegenteil: Milosevic hat dadurch für seine Vertreibungspolitik erst eine scheinbare Rechtfertigung bekommen. Wer in dieser Situation weiter eskaliert, wird die Katastrophe nur größer machen.

Wie kann denn dann eine Rückkehr an den Verhandlungstisch erreicht werden, wenn die NATO - mit Unterstützung der Grünen - von Milosevic zuerst Vorleistungen verlangt, bevor die Bombardements gestoppt werden könnten?

Roland Appel: Es muß Initiativen von Dritten - sei es vom UNO-Generalsekretär, sei es von Primakow oder auch anderen - geben, um in diesem Konflikt für eine diplomatische Lösung zu sorgen. Man muß solche Konflikte immer vom Ende her denken. Offensichtlich ist bei den Luftschlägen der Konflikt nicht vom Ende her gedacht worden. Die verteidigungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Angelika Beer, gibt in einem Brief an die Parteibasis selbst zu, daß sie sich auf einen Weg begeben hat, von dem sie nicht weiß, wo er hinführt. Und das ist genau das Problem.

Sie haben am vergangenen Wochenende an Protestaktionen der Friedensbewegung teilgenommen. Wie erklären Sie sich, daß heute weit weniger Demonstranten auf der Straße sind als noch zur Zeit des Golfkrieges?

Roland Appel: Ich glaube, daß liegt daran, daß es hier kein eindeutiges Gut und Böse gibt. In den Reihen der serbischen Polizei und Regierung sitzen genauso Verbrecher wie bei der UCK. Dazu kommt diese Zerrissenheit: Wie können wir Menschenrechte durchsetzen? Wie kann man gegen die Brutalität von Despoten, wie Herrn Milosevic, vorgehen, denen Hunderttausende von Flüchtlingen am Arsch vorbei gehen? Das ist kein Konflikt zwischen Rechts und Links, das geht quer durch die Parteien. Mit einem bißchen mehr Ehrlichkeit würde auch die PDS zugeben müssen, daß viele ihrer Mitglieder in derselben verzweifelt ratlosen Situation sind. Beim Golfkrieg waren die Feindbilder anders, und da waren die Verhältnisse eindeutiger. Die Situation ist eine ganz andere gewesen. Das kann man nicht vergleichen.

Wo ist der entscheidende Unterschied zum Krieg gegen den Irak? Dort war die Ausgangslage doch sogar viel eindeutiger: Es gab einen Dikator, der einen fremdes Staat überfallen und der Giftgas gegen die kurdische Minderheit im Land eingesetzt hatte. Zudem bedrohten Saddam Husseins Raketen auch noch Israel. Und der NATO-Einsatz gegen den Irak erfolgte mit UN-Mandat. Damals jedoch protestierten über 100.000 Menschen in der Bundesrepublik dagegen. Heute sind es wenige Zehntausend, die gegen den NATO-Überfall auf einen souveränen Staat demonstrieren.

Roland Appel: Es hat eine langfristige Entwicklung gegeben, die mit dem Einsatz deutschen AWACS-Flugzeuge während des Golfkrieges begonnen hat. Das ging dann über die Bundeswehreinsätze in Somalia, Kambodscha bis zur Beteiligung an den SFOR-Truppen in Bosnien. Die Politik der Bundesregierung ist einer Logik gefolgt, die immer ein kleines Schrittchen weiter ging und auch von der Bevölkerung akzeptiert worden ist. Die logische Konsequenz daraus ist, daß wir uns inzwischen in einem NATO-Einsatz ohne UNO-Mandat befinden. Im Übrigen: Ohne Medienschelte betreiben zu wollen, muß ich doch feststellen, daß ich die lautesten Rufe nach einer militärischen Intervention immer in der taz gelesen habe und nicht in der FAZ. Man glaubt ja wirklich, daß die Dinge auf dem Kopf stehen. Noch als FDP-Mitglied habe ich Anfang der 80er Jahre auf der Bonner Hofgartenwiese gegen den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt demonstriert, der mit seinem NATO-Nachrüstungsbeschluß quasi die Grünen als Protestpartei mit aus der Taufe gehoben hat. Es muß uns zu denken geben, wenn ausgerechnet dieser Helmut Schmidt heute unter einer rot-grünen Bundesregierung sagt, die Einsätze sind vom internationalen Recht nicht gedeckt. Das hat schon etwas makaberes. Aber er hat recht.

Droht der Krieg gegen Jugoslawien die Grünen zu spalten?

Roland Appel: Auf keinen Fall. Es zerreißt viele von uns innerlich. Aber die Diskussionen, die wir derzeit führen, befinden sich auf einem sehr hohem Niveau. Auf der einen Seite steht die Frage, wie die Einhaltung von Menschenrechten durchgesetzt werden kann. Auf der anderen Seite müssen wir uns mit dem Sündenfall einer militärischen Intervention der NATO ohne UNO-Mandat auseinandersetzen. Da gibt es keine einfachen Antworten. Es muß uns darum gehen, daß wir uns differenziert damit auseinandersetzen und nicht in ein Gut- und Böse-Denken oder in Entscheidungsschlachten verfallen. Das ist eine schwierige Diskussion, die wir auch auf dem Sonderparteitag am 13. Mai führen werden. Doch diejenigen, die glauben, daß es hier eine Entscheidungsschlacht gibt, das scheinen nach meinem Verständnis Menschen zu sein, die außerhalb der Grünen stehen und die gerne möchten, daß sich die Grünen zerlegen. Das werden wir hoffentlich nicht tun.


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