Ludger Volmer,
Staatsminister im Auswärtigen Amt und grüner
Bundestagsabgeordneter, zum Krieg in Jugoslawien.
Ein halbes Jahr ist Rot-Grün
an der Regierung, schon führt Deutschland Krieg. Herr
Volmer, wie fühlen Sie sich als nun ehemaliger
Friedensbewegter?
Ludger Volmer:
Beschissen.
Sie gehörten
früher zum "Friedensflügel" Ihrer Partei,
jetzt unterstützen Sie den Militäreinsatz der NATO im
Kosovo. Wie ist eine solche Wandlung möglich?
Ludger Volmer: Die
Wandlung besteht nur darin, daß ich kein
Oppositionsabgeordneter mehr bin, sondern
Regierungsmitglied, und dort auf einer anderen Ebene und
in anderen Zusammenhängen handele. Dort sind auch andere
Methoden notwendig. In der Opposition reicht es, wenn man
sich hinstellt und klar seine Meinung sagt. Auf der
Regierungsebene muß man versuchen seine Programme und
Grundwerte in außerordentlich komplexen Strukturen der
internationalen Politik umzusetzen. Dabei ist man mit
Akteuren konfrontiert, die erheblich stärker sind als
die Grünen. Die Grünen sind schließlich keine
Großmacht. Zudem arbeiten wir mit Hochdruck daran, daß
es eine neue politische Grundlage für einen möglichst
baldigen Waffenstillstand gibt. Was aber nicht zum Erfolg
werden kann, ist ein einseitiger Stopp der Bombardierung
Jugoslawiens durch die NATO, denn der Krieg würde im
Kosovo mit unvermittelter Härte weitergehen. Es war und
ist Milosevics Absicht, einen Teil seines Staatsvolkes zu
vertreiben und auszurotten. Wer von dieser Analyse nicht
ausgeht, ist für mich kein ernsthafter
Gesprächspartner.
Heißt das also,
daß es sich die Grünen nur deshalb leisten konnten,
gegen deutsche Kriegseinsätze zu sein, weil sie in der
Opposition waren?
Ludger Volmer:
Nein. Wir arbeiten weiter an politischen Konzepten, um
möglichst schnell zu einem Waffenstillstand zu kommen.
Das Problem ist, daß Milosevic planmäßig eine
Vertreibungs- und Vernichtungspolitik gegenüber einem
Teil seines Staatsvolkes betreibt. Er betreibt eine
Politik die mit vielen Kategorien der Nazi-Politik zu
vergleichen ist: Die Eroberung von Lebensraum für seine
eigene Ethnie und die Ausschaltung anderer Ethnien. An
dieser Realität kommen wir nicht vorbei. Für mich steht
fest: Das, was Milosevic betreibt, ist Völkermord. Und
er bedient sich der gleichen Kategorien, derer Hitler
sich bedient hat. Wenn das die Linke und die
Friedensbewegung verdrängt, um keine unangenehmen
Konsequenzen ziehen zu müssen, dann ist dies ein Fehler.
Aber wir, die wir näher am Geschehen dran sind, können
uns nicht dadurch den Blick verstellen lassen, daß wir
prinzipiell gegen jede Form von Kriegsführung sind. Wir
haben die Friedensverhandlungen von Rambouillet begonnen.
Dies war die einzige Möglichkeit, den vorher schon
angedrohten Luftschlag durch die NATO zu verhindern. Der
Friedensprozeß ist ausschließlich an Milosevic
gescheitert, weil dieser Mann keinen Frieden will.
Durch die
NATO-Angriffe ist Milosevics Position in Jugoslawien
gestärkt worden. Wäre es nicht klüger gewesen, eine
Politik zu betreiben, mit der die demokratische
Opposition gestärkt worden wäre?
Ludger Volmer: Es
gibt keine nennenswerte Opposition mehr in Jugoslawien.
Der
NATO-Kriegseinsatz ohne UN-Mandat verstößt gegen das
Völkerrecht. Könnte dadurch nicht ein gefährlicher
Präzedenzfall geschaffen worden sein?
Ludger Volmer: Ich
selber war derjenige, der die einzige kritische Rede
gehalten hat, als der Bundestag am 16. Oktober 1998 mit
großer Mehrheit die deutsche Unterstützung für die
NATO-Strategie beschlossen hat. Dabei habe ich
insbesondere die völkerrechtliche Problematik in den
Vordergrund gestellt. Man muß aber heute sehen, daß es
so etwas wie einen übergesetzlichen Notstand gibt. Das
Völkerrecht ist geschaffen worden, um zwischenstaatlich
Konflikte zu regeln. Die heutigen Kriege sind in der
Regel innerstaatliche Konflikte. Da hat das Völkerrecht
eine riesige Lücke. Das heißt nun nicht, daß jede
beliebige Ordnungsmacht in diese Lücke hineinstoßen
darf. Deshalb arbeiten wir intensiv daran, daß das
Völkerrecht weiterentwickelt wird und die UNO als
Inhaberin des Gewaltmonopols wieder in Kraft gesetzt
wird. Nur in der jetzigen aktuellen Situation hätte der
Verzicht auf die Militärschläge bedeutet, daß der
Westen ohne jeglichen Versuch des Eingriffs hingenommen
hätte, daß ein Diktator mit einer ethnischen, also
völkischen, Politik große Teile seines Staatsvolkes
ausrottet.
Wie kann denn die
UNO gestärkt werden, in dem man sie schwächt?
Ludger Volmer:
Richtig ist, daß die UNO und der Weltsicherheitsrat
nicht in der Lage waren, angemessen auf den
Kosovo-Konflikt zu reagieren. Wenn man das Völkerrecht
und die UNO verteidigt, wie ich das tue, dann heißt das
nicht, daß man jeden Mechanismus verteidigen muß. Denn
wir Grünen selber haben immer eine Reform des
Sicherheitsrates und eine Abschaffung des Veto-Rechts
gefordert. Die Mehrheit des Sicherheitsrates unterstützt
im übrigen diese Angriffe. Es kommt nur deswegen keine
verbindliche Abstimmung zustande, weil Rußland und China
ein Veto angedeutet haben. Wenn man sich aber anschaut,
wie dieses Veto politisch begründet ist, dann stellt
sich die Legitimation schon wieder ganz anders dar.
Trotzdem stellt der
NATO-Kriegseinsatz einen Präzedenzfall dar. Wäre es
nicht konsequent, nach der Bombardierung Belgrads die
Tornados weiter nach Ankara fliegen zu lassen - zum
Schutz der kurdischen Minderheit in der Türkei, die auch
aus ihren Dörfern vertrieben und deren Häuser auch
niedergebrannt werden? Warum sollte denn für die Türkei
nicht das gleiche gelten wie für Jugoslawien?
Ludger Volmer:
Selbstverständlich ist der Westen nun, wenn er so massiv
für die Überlebensinteressen des Kosovo eintritt, auch
in der Pflicht sich der berechtigten Interessen anderer
Minderheiten anzunehmen. Aber wenn man der Meinung ist,
der Eingriff im Kosovo gleicht einem übergesetzlichen
Notstand, so kann man daraus gerade nicht ableiten, daß
dies die Grundlage einer neuen Strategie sein muß. Wir
jedenfalls werden im Zusammenhang mit der jetzt
anstehenden Überprüfung der strategischen Ausrichtung
der NATO nicht dafür plädieren, daß die NATO sich
selbst mandatieren und ihren Aktionsradius beliebig
ausdehnen kann. Sondern wir wollen die NATO möglichst
eng an UNO-Standards binden.
Durch die Eskalation
der Situation im Kosovo ist der Vertragsentwurf von
Rambouillet hinfällig geworden. Welche Perspektiven
sehen Sie jetzt noch?
Ludger Volmer: Der
Vertragsentwurf von Rambouillet ist in dieser Beziehung
in der Tat erledigt. Die Bombardierungen können nicht
mehr das Ziel verfolgen, Milosevic zu einer Unterschrift
zu bewegen. Im Moment geht es darum, das jugoslawische
Militärpotential soweit zu dezimieren, daß die
Möglichkeiten der Serben, die Kosovaren weiter zu
massakrieren, erheblich eingeschränkt werden. Das ist
das Ziel. Gleichzeitig arbeiten wir mit Hochdruck an
einem politischen Konzept, das einen Waffenstillstand
ermöglicht.
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