Heft 1/90 - Januar 1990 |
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Von Pascal Beucker |
Die „Neue Studentlnnenbewegung“ und die organisierte Hochschullinke. Die StudentInnenbewegung des Wintersemesters 1988/89 überraschte und verblüffte nicht nur die breite Öffentlichkeit sondern ebenso die organisierte Linke an den Hochschulen. Recht bequem eingerichtet in den linken Nischen der studentischen Selbstverwaltung und mit sich selbst ausreichend beschäftigt, mußte die Linke hilflos mitansehen, wie eine Bewegung an ihr vorbei entstand, die sich in althergebrachte Kategorien nicht einordnen ließ. Die „neue StudentInnenbewegung“ legte eine Krise der Hochschullinken offen, deren Überwindung gerade auch in der genauen Analyse dieser Bewegung liegt. Die Proteste konstituierten sich dezentral, hatten einen spontanen Charakter und unterlagen einer starken Ungleichzeitigkeit. Als Ausgangspunkt kann der landesweite Streik an den hessischen Fachhochschulen Anfang November 1988 angesehen werden, der den Anstoß für die Streikbewegung an der J. W. Goethe-Universität in Frankfurt gab. Der am 23. November 1988 begonnene Streik an der Uni Frankfurt, der zu seiner Hochzeit alle 21 Fachbereiche einbezog, wirkte wie eine Initialzündung. Es entstand bis Mitte Januar 1989 eine Bewegung, die die gesamte Republik erfaßte; an mehr als jeder dritten Hochschule (FHen eingeschlossen) fanden Aktionen statt. Konkrete Anlässe waren meist regionale oder hochschulinterne Entwicklungen, z. T. wirkte auch einfach nur der mutmachende Blick zu anderen Hochschulen initiierend, an denen sich schon etwas bewegte. Die große und überwiegend positive Medienresonanz auf die Proteste hatte eine wichtige Funktion, sie sorgte für ein Gemeinschaftsgefühl - man sah sich eingebettet in eine bundesweite Bewegung. Während die Presse von FR bis FAZ sich vor allem auf die großen Universitäten konzentrierte, sorgte die alternative taz durch ihren Anspruch auf möglichst umfassende Berichterstattung für eine Art informative Koordination der Bewegung, zu der die Studenten und Studentinnen selbst nicht in der Lage waren. Ohne sie wäre an etlichen Hochschulen Bewegung wohl nicht entstanden1). So unterschiedlich wie die jeweiligen Zündfunken des Protestes, so vielfältig waren auch dessen Aktions- und Kommunikationsformen: Vorlesungsboykott, aktiver Streik bis zur harten Institutsbesetzung; „Latschdemo“ oder kommunikatives Happening; Wandzeitung, Piratensender oder MailBox-System - alles war im Repertoire vertreten. Grundsätzlich galt dabei das Prinzip der Selbstorganisation. Erstaunlich war das große Selbstbewußtsein, welches sich im Laufe der Bewegung aufgrund von öffentlichem Interesse und der Erfahrung geschaffener Freiräume noch steigerte, z. T. jedoch zu einer Selbstüberschätzung führte, die nach dem Abbröckeln der Bewegung Mitte Januar 1989 häufig in Frustration umschlug, wenn in der vormals „befreiten Uni“ wieder dem ganz alltäglichen Scheinerwerb nachgegangen werden mußte. Vorboten einer neuen Bewegung Auch wenn die „neue StudentInnenbewegung“ des Wintersemesters 1988/89 allgemein überraschte, so kam die Protestwelle doch nicht ganz unvorbereitet. Vorausgegangen waren u. a. der TutorInnenstreik 1986 in Westberlin, 1987 der Protest gegen Studiengebühren in Niedersachsen, die bundesweite „Abi-Deform“-Bewegung an den Schulen und auch die bundesweite Demonstration „Aufbruch statt Abbruch - Chancengleichheit und Bildung für alle“ in Bonn, zu der Vereinigte Deutsche StudentInnenschaften (VDS), BundesschülerInnenvertretung (BSV) und die Gewerkschaft Erziehung & Wissenschaft (GEW) aufgerufen hatten und an der rund 70 000 SchülerInnen und StudentInnen teilnahmen. Gerade die SchülerInnenbewegung gegen eine Verschlechterung der Abiturregelungen im Sommer 1987 muß in einen Zusammenhang mit den Protesten des Winters 1988/89 gebracht werden, da hier einer der Erklärungsansätze liegt, warum die „neue StudentInnenbewegung“ gerade von Anfangssemestern getragen wurde: Ein Großteil derjenigen, die damals an der - zwar verhältnismäßig kurzzeitigen, aber bisher größten - SchülerInnenbewegung aktiv beteiligt waren, befinden sich heute an der Hochschule. Sie mußten feststellen, daß ihre Ansprüche nach angemessener Bildung und Ausbildung auch an der Hochschule weit von der Verwirklichung entfernt sind. Interessant ist auch, daß etliche Strukturmerkmale der beiden Protestbewegungen Parallelitäten aufweisen (z. B. Dezentralität, Spontanität etc.)2). Eine neue Qualität besaß die „neue StudentInnenbewegung“ in ihrer Intensität und Ausdehnung sowie darin, daß sie sich nicht auf einen Abwehrkampf beschränkte. So waren zwar vielfach geplante Verschlechterungen - wie z. B. die Schließungspläne für das Interdisziplinäre Zentrum für Hochschuldidaktik in Hamburg, die High-Tech-orientierten Strukturpläne des Wissenschaftsministeriums in NRW, die Kuratoriumsbeschlüsse für Umstrukturierungen zur Beseitigung linker Nischen im Wissenschaftsbetrieb in Westberlin u. a. - Anlaß des Protestes, aber darüber hinaus führte er dazu, Anforderungen zur Veränderung der Hochschule zu formulieren. Hierbei gelang auch recht bald, materielle und inhaltliche Fragen zu verbinden, womit freilich die Konstruktion einer vermeintlichen Interessensidentität zwischen Protestierenden und Professoren, wie dies gerade zu Beginn der Bewegung von Hochschulpräsidenten, Professoren, bürgerlichen Medien u. a. versucht wurde, alsbald in das Reich der Illusionen verband wurde - auch wenn dieser Mythos bis zum Schluß besonders von den Medien immer wieder kultiviert worden ist. Ein Beispiel hierfür: „Tausende Demonstranten auf den Straßen. Im Unterschied zu 1968 sind die Studierenden mit ihren Professoren weithin einig: In ungezählten Resolutionen fordern sie größere Hörsäle, Geld für die Bibliotheken, neue Professorenstellen und mehr Tutoren für alle Fächer.“3) Daß sich der Protest nicht ideologiekritisch und an die Herrschaftsverhältnisse in Frage stellenden Punkten hat entzünden lassen, läßt also nicht den Schluß zu, daß sich die Bewegung nur gegen die unmittelbaren Anlässe der Bewegung richtete. Die „neue StudentInnenbewegung“ basierte auf dem Unmut über miserable Lebens- und Studienbedingungen, unzureichende materielle Absicherung, unsichere Berufsperspektiven4), patriarchalische Strukturen und technokratische Massenabfertigung im Hochschulalltag. Dementsprechend war auch eine Beschränkung auf den Erhalt des hochschulpolitischen Status quo nicht möglich. Die schwelende studentische Unzufriedenheit kristallisierte sich an den kollektiv erfahrenen Mißständen und der daraus resultierenden Bereitschaft zur kollektiven Bewältigung der individuell erfahrenen Widersprüche. Entpolitisierung und Repolitisierung Der Hinweis auf die unzumutbaren Zustände an den Hochschulen allein reicht allerdings nicht aus, um zu erklären, warum die Bewegung ausgerechnet im letzten Wintersemester losbrach. Von einer rapiden Verschlechterung der studentischen Situation im letzten Jahr kann nicht gesprochen werden, vielmehr sind die Zustände an den bundesdeutschen Universitäten und Fachhochschulen schon seit einiger Zeit reif für ein studentisches Aufbegehren. So prophezeite die VDS schon seit Jahren immer wieder vergeblich das Aufkommen breiter Proteste für das jeweils kommende Semester. Einen interessanten Erklärungsversuch, der auch Teil einer Begründung für die Randexistenz der organisierten studentischen Linken in den Protesten darstellen könnte, liefert hier der ehemalige Frankfurter AStA-Vorsitzende Wolfgang Kraushaar. Er stellt die These auf, daß, obwohl die objektiven Faktoren für eine derartige Bewegung schon seit längerem vorhanden gewesen wären, sie gar nicht früher hätte entstehen können, da für ihre Entstehung die Herausbildung einer neuen „entpolitisierten“ StudentInnengeneration notwendige Voraussetzung gewesen sei. Kraushaar geht davon aus, daß der Politisierungsschub, den die StudentInnenbewegung Ende der 60er Jahre auslöste und der die Linke hegemonial an den Hochschulen werden ließ, seit Beginn der 80er Jahre massiv an Ausstrahlungskraft und Mobilisierungsfähigkeit verloren hat. Die sozialistischen Grundströmungen hätten, aufgrund einer Neuzusammensetzung der Studierendenschaft, die sich nicht zuletzt unter den Auswirkungen der neokonservativen Bonner Regierungspolitik vollzogen hat, ihre Bindekraft verloren. Es wird eine Entpolitisierung der StudentInnenschaft konstatiert, die aber kurioserweise erst wieder Bewegung möglich gemacht hätte: „Die restriktive und z. T. auch repressive Hochschulpolitik, die die sozialliberale Koalition schon während der Kanzlerschaft Willy Brandts zu praktizieren begann, hat eine tiefreichende Resignation in der Studentenschaft, dem akademischen Mittelbau, aber auch in Teilen der Professorenschaft hinterlassen. Dieses Ohnmachtgefühl, von dem die Protestbewegungen, die es in den 70er und 80er Jahren an den Universitäten eher aufrührerisch oder eher grummelnd in unterschiedlichen Aggregationen kontinuierlich gegeben hat, geschlagen waren, mußte erst so weit ausgebaut sein, damit sich eine neue Studentengeneration im Stadium der ihr eigenen Naivität herausbilden konnte. Erst ohne analytisches Vermögen, ohne perspektivische Überlegungen und ohne politische Ambitionen konnte sie den Schock erleben, den das Studium objektiver darstellt. Und diese schockhafte Verwunderung ließ diejenigen, die nur an einem normalen Studienverlauf interessiert waren, den sie aber nicht mehr geboten bekamen, aus dem anonymen Mammutbetrieb, den heute die Universität darstellt, heraustreten, eben streiken... Als Paradoxie formuliert: Die Studenten mußten in ihrer Allgemeinheit erst wieder so unpolitisch werden, um die Naivität aufbringen zu können, einen unbegrenzten Streik für die Verbesserung ihrer Studienbedingungen zu beginnen."5) Die Hochschule von heute: Orte verschulten Lernens, nicht sozialer Erfahrung Dieser Ansatz erscheint nicht abwegig. Schon seit einiger Zeit läßt sich ein Wandel in der Studierendenmentalität feststellen, und zwar hin zu einer „pragmatischen Arbeitnehmermentalität“ (Kraushaar). Für viele Studentlnnen stellt das Studium offensichtlich nur noch die Fortsetzung schulischen Lernens dar, ein Durchgangsstadium hin in das Berufsleben, welches es möglichst zielstrebig zu durchlaufen gilt. Der Beginn des Studiums stellt sich nicht mehr als der Anfang eines neuen Lebensabschnittes dar (wie das früher üblicherweise der Fall war). Die Hochschule verliert ihre Funktion als Ort zur Aneignung sozialer Erfahrungen und wird nur noch als Ausbildungsinstanz begriffen. Viele StudentInnen bleiben z. B. inzwischen - aus Zweckmäßigkeitsgründen und aufgrund studentischer Wohnungsnot auch durchaus verständlich - wieder bei den Eltern wohnen. Immer häufiger werden soziale Bezüge nicht mehr über die Hochschule hergestellt, sondern bleiben dem Heimatort verbunden. Bürgerliche Lebensverhältnisse werden nicht mehr hinterfragt. Aufgrund des Verlustes einer gesellschaftlichen Veränderungsperspektive werden individuelle Fluchten aus dem grauen Alltag organisiert, beispielsweise mittels extensiver Wahrnehmung des Freizeitangebots der Wohlstandsgesellschaft. Ideologisch greifen im Zuge zunehmender Individualisierung die Leitbilder Konkurrenzfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und Karrierebewußtsein („Leistung muß sich wieder lohnen!“). Man versucht ein Arrangement mit den herrschenden Verhältnissen. - Wem die gesellschaftliche Utopie als Maßstab für die kapitalistische Realität fehlt, der/die hat es leichter, sich mit ihr abzufinden. Die Bruchstelle: Funktionalität, die nicht funktioniert Allerdings beinhaltet die Hoffnung auf individuelles Durchkommen auch die Existenz eigener Lebensentwürfe, und so muß es an dem Punkt zu einem Bruch kommen, an dem sich diese Hoffnung als zunehmend unrealistisch erweist. So liegt der Streikbewegung vom Winter 1988/89 eine kollektive Desillusionierung hinsichtlich der individuellen gesellschaftlichen Perspektive zugrunde, da die industrieähnliche Massenhochschule in immer geringerem Maße spätere Verwendungsmöglichkeiten garantiert und zudem immer mehr Ausschuß produziert. Sie „war ausschließlich funktional gedacht, aber funktioniert nicht“ (Gäbler). Es entsteht, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu feststellt, eine kollektive Enttäuschung der in das Bildungssystem gesetzten Erwartungen, der Aufruhr der StudentInnen ist der einer „geprellten Generation“ (Bourdieu)5a). Die Protestierenden verlangten, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht: angemessene Studienbedingungen. In diesem Sinne hatte die StudentInnenbewegung sicherlich auch ein korporativistisches Element. Auch wenn man davon ausgeht, daß seit Anfang der 80er Jahre eine Entpolitisierung der StudentInnenschaft stattgefunden hat, ist der Schluß unzulässig, die „neue StudentInnenbewegung“ sei eine unpolitische Bewegung gewesen. Die Auseinandersetzung mit dem Widerspruch zwischen dem individuellen Lebensentwurf und der Realität der herrschenden Verhältnisse und die daraus resultierende Auflehnung stellen einen Politisierungsprozeß dar, der u. a. auch an den Forderungskatalogen der Bewegung abgelesen werden kann. In der These von der „unpolitischen Bewegung“ treffen sich jedoch Teile der Linken mit u. a. der bürgerlichen Presse. Ihre Analysen der Protestbewegung stellen dabei mehr Projektion, denn Realität dar. Während sich für Teile der Linken die Bewegung als „unpolitisch“ darstellen mußte, um einen Begründungszusammenhang konstruieren zu können, der ihnen erklärt, warum sie keine relevante Rolle während der Proteste spielten, ging es der bürgerlichen Presse von „Spiegel“ bis FAZ um die Einordnung der Proteste in kapitalistische Modernisierungsstrategien. Das gegenwärtige Hochschulsystem wird allgemein nicht als befriedigendes Zukunftsmodell angesehen6), und hier kam die „Neue Studentlnnenbewegung“ als scheinbare Modernisierungsgehilfin genau passend: jm Gegensatz zur Alten Studentenbewegung' betrat die neue eine bereits gut ausgeleuchtete Bühne vor einem ergriffen wartenden Publikum... Endlich eine Studentenbewegung, wie man sich den Schwiegersohn wünscht: zielstrebig und brav, das Machbare stets im Blick, großen Theorien abhold, selbstbewußt und dabei heiter. Und dann noch Hand in Hand mit den Herren Professoren! Herzerquickend. Erst als zu den artigen Forderungen nach mehr Professoren und größeren Hörsälen auch solche nach einer Veränderung der Paritäten in den Gremien kamen, hob die FAZ leitartikelnd ihren Zeigefinger: Kinder, folgt nicht den linken Verführern!“7) Die StudentInnen folgten tatsächlich nicht irgendwelchen vermeintlichen „linken Verführern“, sondern widerlegten ganz autonom sowohl linke Kritikaster als auch bürgerliche Vereinnahmungsstrategos, Die Forderungsprogramme der „neuen Studentlnnenbewegung“, übergreifend in ihren zentralen Punkten zusammengefaßt in der VDS-Resolution vom 14. Dezember 19888), sind - bei allen ihren Unzulänglichkeiten - lesbar als Manifeste eines politischen und progressiven Veränderungswillens. An den diversen Forderungskatalogen, die in den meisten Fällen eine Addition ohne klare Prioritätensetzungen darstellen, läßt sich gleichzeitig feststellen, daß der Protest seine Antriebsfeder in dem Unmut über die bestehenden unzumutbaren Zustände fand und nicht in dem Denken einer konkreten Utopie. Da stand dann die Forderung nach Demokratisierung gleichberechtigt neben der nach einem attraktiveren Exkursionsangebot. Tendenziell trugen die Forderungskataloge Warenhaus- oder Wunschzettelcharakter. Bemerkenswert ist, daß Forderungen nach selbstbestimmtem Lernen, realer Mitbestimmung/Demokratisierung, Autonomie der Hochschulen gegenüber privaten Verwertungsinteressen, Studienreform, Interdisziplinparität, Feminisierung und Verbesserung der materiellen Situation trotz der Heterogenität der Bewegung durchgängig vertreten waren. Auch ohne Koordination ist hier eine bundesweite Einheitlichkeit festzustellen. Die „Innen" der Studentenbewegung Bemerkenswert war besonders die breite Verankerung frauenpolitischer Forderungen. Während viele autonome Frauenreferate nur ein hochschulpolitisches Schattendasein führen - von ASten häufig mit repressiver Toleranz oder vollständiger Gleichgültigkeit bedacht, anstatt mit aktiver Unterstützung - fand in der „neuen StudentInnenbewegung“ eine Art „Neuerschließung“ des Frauenthemas statt und wurden feministische Forderungen erstmalig übergreifend zum integralen und oft auch zentralen Bestandteil studentischer Bewegung. Doch daß sich diese Entwicklung vielfach nur auf einer verbalen Ebene vollzog, kann nicht nur an dem erschreckenden Tatbestand mehrerer Vergewaltigungen während der Besetzungszeit an der FU Berlin festgemacht werden. Eine Berliner Studentin: „Noch nie wurde so sehr auf weibliche Endungen in Wort und Schrift geachtet wie seit der Besetzung der Universität. Plötzlich gibt es auf Flugblättern, in Zeitungen und Redebeiträgen Studentlnnen, DozentInnen, ja sogar PolizistInnen. Wer in den alten Sprachgebrauch zurückfällt und die Innen vergißt, wird umgehend gemaßregelt. Diese Selbstverständlichkeit verhindert jedoch keineswegs, daß Frauen, die auf Vollversammlungen feministische Inhalte einklagen, mit Zwischenrufen wie ,Emanzenraus!' quittiert und mit Pfiffen vom Mikrophon verabschiedet werden. Seitdem Frauen in den besetzten Instituten eigene Räume und Cafés beanspruchen, wird ihnen der Vorwurf gemacht, ‚die Bewegung spalten' zu wollen. Auch der Frauenblock auf der Demonstration am 13. Dezember 1988 war ununterbrochen Beschimpfungen, Drohungen und immer wieder dem Spaltungsvorwurf ausgesetzt und mußte in handgreiflichen Auseinandersetzungen seine Stellung an der Spitze des Zugs verteidigen.“9) In Marburg führte eine Sexismusdebatte zeitweilig an den Rand einer Spaltung der Bewegung. Hier zeigte die „neue StudentInnenbewegung“ z. T. dann doch eine frappierende Verbundenheit mit einem Großteil der organisierten Hochschullinken. Zwar ist auch dort ein Aufgeben alter Nebenwiderspruchstheorien zu vermelden und Frauenforderungen erhalten theoretisch eine höhere Relevanz - der konkrete Umgang mit Frauen und ihren Forderungen sieht aber vielfach immer noch recht trostlos aus. Überraschte Hochschullinke Besonders die organisierte Hochschullinke wurde von der „neuen StudentInnenbewegung“ vollständig überrascht und von der Dynamik der Proteste geradezu überrollt. Die in der Verwaltung studentischen Protests erprobten linken Hochschulgruppen jedweder Couleur mußten reichlich hilflos mit ansehen, wie neben den von ihnen dominierten Gremien und Strukturen neue Zusammenhänge entstanden, die sich häufig bewußt von bestehenden traditionellen Organisationsformen abgrenzten. Die StudentInnenbewegung des Winters 1988/89 traf die organisierte Linke an den Hochschulen hart: Die „gewerkschaftlich-orientierten“ Verbände Marxistischer Studenten- und Studentinnenbund Spartakus (MSB) und Sozialistischer Hochschulbund (SHB), die sich selbst seit Anfang der 70er Jahre als „Kraftzentrum der Studentlnnenbewegung“ begreifen, mußten feststellen, daß ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem die Studierenden das praktizierten, was sie immer propagiert hatten - das selbsttätige Eintreten für die eigenen Interessen -, die Bewegung ganz gut auf sie verzichten konnte. Eine organisierte „ Avantgarde „ wurde nicht gebraucht, man bewegte sich spontan und autonom. Im Gegensatz zu den „Gewerkschaftlich-Orientierten“, verhinderte innerhalb des antiautoritären Spektrums (Basisgruppen, Grün/Alternative etc.) - „eigentlich organischer Ausdruck des in Bewegung geratenen Potentials" (Dörre) - die jahrelang geübte hochschulpolitische Abstinenz adäquates politisches Eingreifen. Die Linke spielte während der Proteste keine relevante Rolle, sie war nur „geduldet, bestenfalls Mitläufer, nicht jedoch Kristallisationspunkt und vorwärtstreibendes Moment“10). Die „neue StudentInnenbewegung“ wahrte eine kritische Distanz, auf die die Linke mit Hilflosigkeit reagierte. Verbreitete Reaktionen auf die Proteste waren das Aufgehen in und der Versuch der Belehrung der Bewegung - manchmal auch einfach trotziges Beschimpfen der Protestierenden als „unpolitisch“. Doch die „neue StudentInnenbewegung“ stellt nicht die Ursache für eine Krise der Hochschullinken dar, sie ist vielmehr Ausdruck dieser Krise. Aufgetrieben in ritualisiertem innerlinkein Hickhack, gut eingerichtet in den linken Nischen der studentischen Selbstverwaltung und den eigenen Zusammenhang als Nabel der Welt begreifend, ist die Hochschullinke schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Lage, veränderte Realitäten an den Hochschulen adäquat wahrzunehmen und sich den daraus entstandenen neuen Anforderungen an linke Politik zu stellen. Scheitern alter Konzepte Die „neue Studierendenbewegung“ hat das Scheitern alter Konzepte und den Verlust der Meinungsführerschaft der organisierten Linken transparent gemacht. Sie zeigte aber, daß die real vorhandene gehörige Abneigung gegenüber den Organisationsformen der traditionellen StudentInnengruppen nicht gleichzusetzen ist mit einer generellen Organisationsfeindlichkeit. Es gibt noch immer ein Potential für linke Politik, aber dieses manifestiert sich nicht mehr in den traditionellen Strukturen. Viele versuchen, neue. Strukturen zu entwickeln, die ihren Ansprüchen nach Selbstbestimmung und einem Höchstmaß an Demokratie gerecht werden: „Als Bewegung gegen Fremdbestimmung - so der Untertitel des Berliner Unlmut-Kongresses Anfang Januar-verweigert sich die Bewegung auch ihrer eigenen machtpolitischen Vereinnahmung, der Reduktion der gerade erstmals erprobten Handlungschancen basisdemokratischer Selbstorganisation auf dürre strategische Abstraktionen und Glaubenssätze, der Repräsentation durch VordenkerInnen und WortführerInnen - und damit den gewohnten Praktiken der universitären Linken.“11) Daß es noch keine ausgereiften funktionsfähigen Modelle gibt, verweist allerdings auch auf die noch vorhandenen Chancen der organisierten Linken, sollte es ihr gelingen umzudenken, und das Beharren auf machtreduktionistischen Denk- und Politikmustern zu überwinden. Die Krise der Hochschullinken ist an den Ergebnissen der Studentenparlamentswahlen nicht ablesbar. Hier gibt es immer noch stabile Mehrheiten für die Linke. Sie vereinigt konstant rund zwei Drittel der Stimmen auf sich. Trotz neokonservativer „Wende“ und Entpolitisierungsprozesse blieben rechte Hochschulgruppen an den meisten Hochschulen deutlich minoritär. Mit dem AStA Uni Frankfurt verloren die Rechten bei den letzten Wahlen ihren Ietzten relevanten AStA (er war getragen von den rechtsunabhängigen „Giraffen“ und dem RCDS) an die Linke. Die stärkste und beständigste Kraft im rechten Spektrum ist immer noch mit Abstand der RCDS, während rechtsliberale Gruppen (z. B. SLH, LHG) bis auf einige wenige Ausnahmen noch keinerlei Verankerung in der StudentInnenschaft finden konnten. Leistungsvergleich: die organisierte Hochschullinke Die Linke gliedert sich traditionell stark auf, mit z. T. großen ideologischen Differenzen, die immer wieder zu ermürbenden innerlinken Linienkämpfen führen, die von Ritualisierung geprägt sind.
1.
Juso-Hochschulgruppen
2.
Marxistischer Studentinnen- und Studentenbund Spartakus (MSB)
3.
Sozialistischer Hochschulbund (SHB)
4.
Basisgruppen - Grün/Alternative
5.
Radikaldemokratische StudentInnengruppen (RSG) Vor einer neuen „Orgdebatte"? Auch wenn in diesem Semester studentische Proteste wohl nicht in vergleichbarem Maße aufbranden, hat die StudentInnenbewegung des Winters 1988/89 in mehrfacher Weise ihre Spuren an den Hochschulen hinterlassen. Sie hat erstens die Hochschule wieder zu einem gesellschaftspolitischen Thema gemacht. Zum zweiten hat die Bewegung bei den an ihr Beteiligten zu einer Politisierung und auch zu gewachsenem Selbstvertrauen geführt. Hier liefert die „Frankfurter Rundschau“ eine richtige Beschreibung: „’Die Uni gehört uns!' Ein wenig von diesem Gefühl, daß einige tausend Studenten während der ,Streikwochen' stimuliert und in Hochstimmung gebracht hatte, habe man doch noch in den tristen Alltag hinweggerettet... Dieses Gefühl der Solidarität und Gemeinschaft, das den Studenten zuvor im Massenbetrieb Universität gefehlt habe, gebe vielen auf einmal Mumm, in Seminaren ihre Meinung zu sagen und in Vorlesungen auch einmal eine unerwünschte Diskussion vom Zaun zu brechen.“21) Zum dritten stellte die „neue StudentInnenbewegung „ eine notwendige Zäsur für die organisierte Hochschullinke dar, die die Chance einer Neubegründung linker Politik beinhaltet: „Das Gesellschaftlich-Werden der neuen Ansprüche nach Selbstbestimmung und Wiederaneignung der in der universitären Alltagsöde verschütteten kulturellen und kritischen Potenzen und die Entwicklung der dazu erforderlichen Formen der Selbstvergesellschaftung eröffnen nicht nur der UniLinken jedenfalls neue Felder für eingreifendes Denken und Handeln, daß sich qualitativ veränderten Identitätsmustern und Ansprüchen ernsthaft stellt.“22) Ob die organisierte Linke diese Chance nutzen wird, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Die Umgruppierungs- und Neustrukturierungsprozesse innerhalb der studentischen Linken werden in den nächsten Semestern an Dynamik gewinnen - sowohl im sozialdemokratischen, wie auch im nicht-sozialdemokratischen Spektrum, ohne daß jedoch bislang die Richtung eindeutig bestimmt werden kann. Die Linke hat eine Perspektive, wenn sie sich den neuen Anforderungen stellt, hier kann der Vorschlag des MSB für ein gemeinsames Projekt links von der Sozialdemokratie historische Bedeutung haben. Erstmalig besteht die Möglichkeit, irrationale Fraktionierungen und Zersplitterungen, die in der Nachfolge der 68er-Bewegung entstanden sind, zu überwinden. Allerdings sind bisher immer noch bei Teilen der Linken Besitzstandswahrung und Abgrenzungsrituale konstituierende Elemente. Ihre Überwindung wird nicht unerheblich für die Rückgewinnung linker Hegemonie an den Hochschulen sein. Ein Versuch in diese Richtung stellt der für den 3./4. Februar 1990 geplante Kongreß „Perspektiven der StudentInnenbewegung - Perspektiven der Linken“ dar, zu dem neben den MSB- und RSG-Mitgliedern auch unorganisierte Linke und Teile der Basisgruppen (u. a. LUST Bonn) aufrufen. Klaus Dörre hat es auf den Punkt gebracht: „Weder die linken Richtungsverbände noch die ausdifferenzierten, oft zersplitterten grün-alternativen und feministischen Zusammenhänge sind für sich genommen in der Lage, die Kluft zwischen Basisbewegung und politischem System zu schließen. Das Vakuum füllen könnte eine strömungsübergreifende links-pluralistische Studierenden-Organisation ohne feste Parteibindung. Ihr Spektrum müßte von kritischen FachschafterInnen, über heimatlose RadikaldemokratInnen, Grüne bis hin zu SozialistInnen und MarxistInnen reichen. Eine Organisationsform wie der SDS vor der Spaltung, allerdings auf einer neuen links-oppositionellen, ökologisch wissenschaftskritischen Plattform. Mit ihr könnte die Blockierung der VS überwunden und politisches Eingreifen erleichtert werden, ohne in Fraktionierung und Sektenwesen zurückzufallen.“23) - Dem ist nichts hinzuzufügen. 1) Ein Problem der taz-Berichterstattung war dabei eine Konzentration auf die Aktionismusebene, die vielfach Diskussionsprozesse in der StudentInnenbewegung ausblendete und somit für ein verzerrtes Bild der Bewegung sorgte. 2) Zur Einschätzung der „Abi-Deform“-Bewegung siehe: Grün/Alternative & Jungdemokraten in der Bundesschülervertretung: Vom Protest zur Revolte? - Positionspapier, in: BSV-Infodienst 5-6/1987. 3) M. Haller/F. Hartmann, Der neue Bildungsnotstand (Zeit-Dossier), „Die Zeit“, 16.12.1988. 4) Die Akademikerlnnen-Arbeitslosenquote liegt mit 5,7% - bei Frauen: 8,3% - nur noch knapp unter dem Durchschnitt. 5) Wolfgang Kraushaar: Eine Studentenbewegung im Stadium ihrer politischen Unschuld, in: „Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte“, 4/1989, S. 338. 5a) Vgl. Interview mit Pierre Bourdieu (aus: „Libération“, Dezember 1986), in: Materialien zur Wissenschaftskritik & Hochschulreform“, 5/1987. 6) Siehe hierzu: Michael Weber-Wenz, Die Gegenreform vor dem Bankrott?, in: „Blätter“, 5/1989, S. 554 ff. 7) Uwe Knüpfer, Geld rein, Klappe zu, in: „Die Zeit“, 13.1.1989. 8) Dok, in: „Blätter“, 2/1989, S. 182 ff. 9) Miriam Lang, Vom Protest zum Infostand, in: „Konkret“, 2/1989. 10) Manfred Confurius, Linke und Umbruch, in: rote blätter, 2 - 3/1989. 11) Wolfgang Lindweiler, Zwischen Hegemonie und Hilflosigkeit - UniMut und UniLinke, in: „UniRevue“, April 1989. 12) Uwe Kremer, Stichworte zur Perspektive im Hochschulsektor, Thesenpapier, Anfang 1989. 13) Aus der Begründung des MSB-Sekretariats für ihren Entwurf eines Antrags des Bundesvorstandes an den MSB-Bundeskongreß Anfang Oktober 1989, dok. in: „express“-Sonderausgabe der „roten blätter“, September 1989. 14) Auszugsweise dokumentiert in: „express“-Sonderausgabe der „roten blätter“, Juni 1989. 15) Offiziell verfügt der SHB noch über 2000 Mitglieder, realistischere Schätzungen ehemaliger SHB-FunktionärInnen gehen von 1000 aus. 16) „Das Ende vom Lied“, Austrittserklärung des SHB Uni Köln aus dem SHB, Beschluß der Mitgliederversammlung am 19. 6.1989. 17) Jan Devries und Uwe Kremer für die Leitung des HK in einem Brief an den SHB-Bundesvorstand vom 27. 6. 1989. 18) Ebd. 19) Ebd. 19a) Zur Situation im SHB vgl. auch Norbert Mappes-Niedick, Zur Krise des Sozialistischen Hochschulbundes, in: „Sozialistische Politik und Wirtschaft“ (spw) 48, 1989. 20) Zu den Gründen der Unfähigkeit zum gemeinsamen Handeln der BGs siehe u. a,: Dieter Hummel/Rainer Hoppe, Wie weiter mit der Studentenbewegung?, in: „Moderne Zeiten“, 5/1983; R. Gropengießer/W. Pohl, Kommen die Basisgruppen auf den grünen Zweig?, in: ebd., 4/1984.
21)
„Frankfurter Rundschau“, 9. 2, 1989, zit. n.: G.-1 Glaeßner/K.-J.
Scherer: Studenten-Mut, in: „Die Neue Gesellschaft/Frankfurter
Hefte“, 4/1989.
22)
Wolfgang Lindweiler, a.a.0. 23) Klaus Dörre, „Wir sind selbst schlau! Phänomenologie und Zielsetzungen der neuen Studentinnenbewegung, Manuskript. |
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