14.06.2013 |
Startseite taz |
„Leben TV“ soll sterben |
Von Pascal Beucker |
„Hayat TV“ hat umfassend über die
Gezi-Park-Proteste berichtet. Nun will die türkische
Rundfunkbehörde den Sender schließen – nicht zum ersten Mal. Dem regierungskritischen türkischen
Fernsehsender „Hayat TV“ („Leben TV“) droht die Schließung.
Hintergrund ist offensichtlich die ausführliche
Berichterstattung des Senders über die Istanbuler
Gezi-Park-Proteste. Bis Mittwoch will der Oberste Rat für
Hörfunk und Fernsehen in der Türkei (RTÜK) entscheiden, ob der
Sendebetrieb eingestellt wird. Ursprünglich wollte die staatliche
Aufsichtsbehörde schon an diesem Freitagmittag Hayat TV den Saft
abdrehen. Doch nun sollen erst einmal weitere Gespräche mit den
Verantwortlichen des Senders geführt werden. Die angedrohte Schließung von Hayat TV ist
der bislang heftigste Zensurversuch der Erdogan-Regierung gegen
unliebsame Medien im Zusammenhang mit der Protestbewegung in der
Türkei. RTÜK hat bereits Geldstrafen gegen die vier
Fernsehsender Halk TV, Ulusal TV, Cem TV und EM TV verhängt,
weil sie angeblich gegen Sendeprinzipien verstoßen und „die
geistige und moralische Entwicklung junger Menschen gefährdet“
hätten. Mit der gleichen Begründung hatte die
Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk Ermittlungen gegen
Hayat TV aufgenommen - unter Berufung auf vermeintliche
„Beschwerden aus der Bevölkerung aufgrund seiner Sendungen zum
Thema Gezi-Park“. Nun jedoch begründet die Behörde ihre
Verfügung für das Aus von Hayat TV formal mit einer fehlenden
nationalen Sendelizenz – was allerdings bei einem Fernsehkanal,
der schon seit sechs Jahren auf Sendung ist, mehr als
vorgeschoben wirkt. Von einer „willkürlichen Entscheidung“,
spricht Mustafa Kara, der Programmkoordinator von Hayat TV. „Die
Behauptung, wir würden illegal senden, entbehrt jeder
Grundlage“, sagte er. „Man versucht, uns mit unrechtmäßigen
Mitteln zum Schweigen zu bringen.“ Die AKP-Regierung wolle das
Recht der Bevölkerung auf Zugang zu Informationen mithilfe von
Unterdrückung und Zensur aushebeln. Am Donnerstag forderte die Behörde den
Satellitenbetreiber Türksat schriftlich auf, Hayat TV am
Freitagmittag abzuschalten. Kurz vor Ablauf des Ultimatums wurde
die Verfügung jedoch vorläufig zurückgenommen. Beobachter werten
das als eine Reaktion auf Erdogans Befriedungsversuche in der
Nacht zum Donnerstag. Bis zum kommenden Mittwoch wollen
RTÜK-Vertreter nun Gespräche mit Hayat TV führen und dann erneut
entscheiden. Das Ergebnis dürfte von dem weiteren Verlauf der
Protestbewegung abhängen. Seit März 2007 ist Hayat TV mit einer
internationalen Sendelizenz on Air. Gemeinsam mit der
Tageszeitung Evrensel hat der werbefinanzierte Satellitenkanal
seine Zentrale im Istanbuler Stadtteil Kocamustafapaşa. Daneben
gibt es Redaktionsbüros in Ankara, Izmir, Kocaeli, Adana und
Diyarbakir. Mit dem in Köln ansässigen
Deutschland-Korrespondenten von Hayat TV und Evrensel, Yücel
Özdemir, kooperiert die taz beim Münchner NSU-Prozess.
„Bewusst gelenkte
Medienpolitik“ Der Nachrichtensender versuche,
Gegenöffentlichkeit herzustellen, sagte Mehmet Özer,
Chefkorrespondent von Hayat TV. „Wir klären über die Situation
und die bewusst gelenkte Medienpolitik in der Türkei auf“, so
Özer. Die Regierung und die ihr nahen Medien stellten die
aktuellen Ereignisse nicht authentisch dar. „Es werden Meldungen
verdreht oder falsche Behauptungen aufgestellt, zum Beispiel
dass die Proteste vom Ausland oder von Agenten gesteuert
werden.“ Demgegenüber versteht sich Hayat TV als
Sprachrohr der Protestbewegung. Im Juli 2008 hatte die
RTÜK-Behörde ein erstes Mal die Schließung des Senders verfügt,
um dessen kritische Berichterstattung zu unterbinden. Aber sie
musste ihre Entscheidung aufgrund landesweiter und
internationaler Proteste zurücknehmen. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in Ver.di forderte am Freitag die türkische Regierung auf, den Sendebetrieb von Hayat TV nicht weiter zu behindern. „Gerade in Zeiten politischer Auseinandersetzungen braucht es faire, freie und vielseitige Berichterstattung“, sagte der dju-Vorsitzende Ulrich Janßen. |
© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors. |