![]() 68. Jahrgang / Ausgabe 06 / 07.02.2013 |
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Von Pascal Beucker und Anja Krüger |
KARNEVAL
Aaron Knappstein ist schwul, 1. Offizier der StattGarde und Jude
Dutzende knackige Männer und einige Frauen
marschieren in blau-weißen Marineuniformen in den Saal, ihre von
Karnevalslegende Marie-Luise Nikuta verfasste Hymne schmetternd:
»Wir sind die StattGarde Colonia – Ahoi, Ahoi, Alaaf«. Ganz vorne
dabei ist Aaron Knappstein, der 1. Offizier der Truppe. Die
Mannschaft stellt sich auf, die Bordkapelle beginnt die ersten
Lieder zu spielen. Knappstein klatscht im Takt. Er liebt diese
Augenblicke. Die brodelnde Erwartung im Saal. Den Spaß der Kollegen
auf der Bühne. »Wir sind der Hit bei jeder Mädchen- und
Damensitzung«, sagt Aaron Knappstein. Besonders begehrt sind die
Tänzer des Karnevalskorps. »Die Schrittkombinationen, Sprünge und
Hebefiguren zu russisch angehauchten Melodien zählen zum Besten, was
in dieser Session auf den Bühnen zu sehen ist«, schwärmt der Kölner
Stadt-Anzeiger. Vorstand Knappstein tanzt nicht, er repräsentiert.
»Ich winke und trinke«, beschreibt er seine Aufgabe.
90 AUFTRITTE
Nach einer halben Stunde marschiert die StattGarde unter
begeistertem Applaus wieder aus dem Saal. Der nächste Termin wartet:
Der Auftritt im altehrwürdigen Gürzenich bei der Prunksitzung der
Prinzengarde. 90 Auftritte absolviert die StattGarde in der Session
2012/ 2013. Die karnevalistischen Seeleute treten in der
gigantisch großen Köln-Arena auf, bei der vom ZDF übertragenen
Prunksitzung der Kölner EhrenGarde im Großen Sartory-Saal dürfen sie
ebenfalls nicht fehlen. »Wir sehen uns als Bestandteil des
traditionellen Kölner Karnevals«, sagt Aaron Knappstein. Gleichwohl
ist die 2003 gegründete StattGarde etwas Besonderes: Sie hat rosa
Wurzeln. Die Mehrheit ihrer rund 400 Mitglieder ist schwul. Der
42-Jährige ist seit 2006 mit an Bord. »Klar gibt es auch welche, die uns nicht buchen«,
weiß Knappstein. »Aber wir haben bestimmt doppelt so viele Auftritte
wie die Blauen Funken oder die EhrenGarde, weil wir ein komplettes
Bühnenprogramm mit Kapelle, Shanty-Chor und Tanzkorps bieten.« Im
Kölner Karneval sind die StattGardisten gefeierte Stars. Trotzdem macht Homophobie auch und erst recht
nicht vor dem Karneval halt, nicht mal in Köln. Doch sie zeigt sich
nicht offen, sondern höchstens dezent. »Wenn einer im tobenden Saal
mit verschränkten Armen auf die Bühne sieht oder rausgeht, ist in
der Regel klar, was für ein Problem er hat«, sagt Knappstein. »Ich
bin jemand, der so etwas schnell sieht, vielleicht hängt das mit
meiner jüdischen Geschichte zusammen.«
TERMINPLANUNG
Sein Engagement im ehrenamtlichen sechsköpfigen Vorstand der
StattGarde nimmt Knappstein nicht auf die leichte Schulter.
Schließlich ist Karneval in Köln eine ernste Angelegenheit. Wer hier
mitmachen will, muss eine große Portion Verbindlichkeit mitbringen.
Die zahlreichen Termine müssen sorgsam koordiniert, die Auftritte
gut geplant sein. Da wird nichts nur einfach dem Zufall überlassen.
Genau das richtige für Knappstein. »Ich bin ein
Organisationsmensch«, sagt er. »Wenn ich einem Verein beitrete,
bleibe ich deshalb auch selten lange einfaches Mitglied.« Seine Karnevalsbegeisterung hat der schlanke Mann
mit rotem Haar und Vollbart von seinen Eltern geerbt. »Mein Vater
war ein Vollblutkarnevalist«, erzählt er. Knappstein wuchs im wenige
Kilometer von Köln entfernten Niederkassel auf. Wer in dem kleinen
Städtchen etwas auf sich hielt, war selbstverständlich Mitglied der
örtlichen Karnevalsgesellschaft. »Meine Eltern genossen hohes Ansehen, waren sehr
gut integriert«, sagt er. Über ihr Jüdischsein sprachen sie nicht.
»Für meine Mutter war es wichtig, dazuzugehören, das war ein
wesentlicher Punkt.« Sie hatte den Holocaust als Kind in einem
Versteck überlebt.
ERINNERUNGSARBEIT Jüdische Karnevalisten
Aaron Knappstein ist Mitglied der kleinen Jüdischen Liberalen
Gemeinde in Köln. Im Hauptberuf verdient er sein Geld als
Personaldisponent in Leverkusen bei der landeseigenen START
Zeitarbeit NRW. Daneben arbeitet er für das Kölner
NS-Dokumentationszentrum und macht Stadtführungen, in denen er die
Vielfalt des Kölner Judentums in Vergangenheit und Gegenwart
vermittelt. Auch den verschütteten jüdischen
Karnevalstraditionen spürte Knappstein nach. So half er mit,
Kontakte zu der in New York lebenden Tochter von Hans Tobar zu knüpfen. Der jüdische Conférencier, Liedertexter und Autor
trat in der Weimarer Republik in den größten Sälen der Stadt auf.
»Damals gab es sogar einen eigenen jüdischen Karnevalsverein, den
Kleinen Kölner Karnevalsklub der Gebrüder Salomon«, sagt Knappstein.
AUSGRENZUNG
Aber nach 1933 marschierte auch der Karneval in der Domstadt schnell
im NS-Gleichschritt. Für Juden war kein Platz mehr. Hans Tobar und
Max Salomon emigrierten in die USA, Willi Salomon nach Palästina. Es
hat lange gedauert, bis die Kölner Karnevalsgesellschaften begannen,
sich ihrer braunen Vergangenheit zu stellen. Für die StattGarde organisierte Knappstein eine Führung zum Thema »Juden und Karneval«. Der Untertitel war: Wie feiern Juden Karneval? »Da waren alle ganz gespannt«, berichtet er mit einem verschmitzten Grinsen. »Und als ich dann gesagt habe: Wie alle anderen auch – da waren sie ganz enttäuscht.« Ob er der einzige Jude im Vorstand einer Kölner Karnevalsgesellschaft ist? »Ich weiß es nicht, aber es ist ja auch schön, dass man das nicht weiß«, sagt er. |
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