10.06.2006

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*   Eine Mordserie im Hintergrund
Von Pascal Beucker
Die grausame Kette von Morden an türkischen Geschäftsinhabern erschreckt die Community. In Dortmund wollen Angehörige eines Opfers am Sonntag schweigend demonstrieren.

Mit einem Schweigemarsch wollen am Sonntag Angehörige gemeinsam mit türkischen Kulturvereinen Mehmet Kubasik gedenken. Und sich ihrer Hilflosigkeit gegenüber dem Unfassbaren entgegenstellen. "Stoppt die Mörder" lautet das Motto, unter dem sie sich auf der Dortmunder Mallinckrodtstraße versammeln werden. Doch wie lassen sich Killer stoppen, von denen außer Kaltblütigkeit nichts bekannt ist?

Wer ermordete Mehmet Kubasik? Diese Frage bewegt nicht nur seine Hinterbliebenen. Am 4. April, um 13.10 Uhr, war der 39-jährige Kioskbesitzer tot in seinem Dortmunder Laden aufgefunden worden. Wer und was hinter seiner Erschießung steckt, liegt bis heute immer noch im Nebel. Nur eins ist sicher: Kubasik ist kein Einzelfall. Sein Tod steht in einer ganzen Reihe von Morden quer durch die Republik - von Nürnberg bis Rostock. Insgesamt starben seit September 2000 neun Menschen, die außer ihrem Migrationshintergrund nicht viel gemeinsam zu haben scheinen.

Neun Morde in fünfeinhalb Jahren, verteilt über das ganze Bundesgebiet: sechs Türken, zwei türkischstämmige Deutsche und ein Grieche. Was die Fälle so mysteriös macht: "Es gibt aber keine Motive, die bei allen Fällen übereinstimmen", sagt Peter Grösch, Pressesprecher der Besondere Aufbauorganisation (BAO) Bosporus, die das bayerische Innenministerium im Juli 2005 ins Leben rief, um die Fahndung nach den Tätern besser zu vernetzen. Vergangene Woche wurde auch in Hamburg eine Sonderkommission eingerichtet.

Das letzte Opfer, Halit Yozgat, wurde zwei Tage nach Kubasik in Kassel erschossen. "Wir arbeiten auf Hochtouren, können aber nicht ausschließen, dass es weitere Opfer geben wird", warnt Grösch. Niemand weiß, wann und wo sie das nächste Mal zuschlagen. Sicher ist nur, dass sie stets dem gleichen Plan folgen. Sie schießen ihren Opfern immer mit der selben Waffe aus nächster Nähe in den Kopf. Tagsüber, zu Geschäftszeiten. Dass sie dabei keine Spuren hinterließen, deute auf Profis hin, so Grösch. "Das waren im weitesten Sinne Hinrichtungen."

Der Ermittlungsaufwand der Polizei ist groß. 3,7 Millionen Funkdaten für Handys wurden ausgewertet, elf Millionen Kontobewegungen überprüft. Rund 100 Beamte arbeiten mittlerweile bundesweit an der Aufklärung der Fälle. Mit 300.000 Euro wurde eine der höchsten Belohnungen in der Kriminalgeschichte der Bundesrepublik ausgesetzt.

Fünf der neun Morde ereigneten sich in Bayern, davon allein drei in Nürnberg, wo die Mordserie im Herbst 2000 ihren Ausgang nahm. In Nürnberg wurden die mutmaßlichen Mörder auch zum ersten und letzten Mal gesehen. Passanten beobachten im Zusammenhang mit dem sechsten Mord an Ismail Yasar am 9. Juni 2005 in der Nähe des Tatortes zwei Männer auf Fahrrädern. Kurz darauf lädt das Duo die Räder auf einem Parkplatz in einen Van. Danach verliert sich ihre Spur. Die Beschreibungen ähneln dabei auffallend denen der Tatverdächtigen in einem anderen spektakulären Fall: dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße am 9. Juni 2004, bei dem 22 Menschen verletzt wurden, vier davon schwer. Ob es eine Verbindung gibt? "Es ist durchaus möglich", sagt der Kölner Polizeisprecher Jürgen Laggies. "Aber", so schränkt er gleich wieder ein: "eine heiße Spur ist das noch nicht, wir wissen nicht, ob eine Verbindung besteht".


Eine mysteriöse Mordserie
Immer noch tappen die Ermittler im Dunkeln: Neun Tote, eine Waffe, kein erkennbares Motiv. Eine Chronologie

Vor inzwischen über fünfeinhalb Jahren begann jene unheimliche Mordserie, der bislang neun Menschen quer durch die Republik zum Opfer fielen. Nach wie vor rätseln die Ermittler sowohl über die Täter als auch über deren Motiv. Bis auf jeweils eine Ausnahme waren die Getöteten türkischer Herkunft und Kleingewerbetreibende. Damit jedoch hören die bislang festgestellten Gemeinsamkeiten auch schon auf.

9. September 2000: In Nürnberg wird zur Mittagszeit der 38-jährige türkische Blumenhändler Enver Simsek an seinem Blumenstand von acht Kugeln getroffen. Simsek, der im hessischen Schlüchtern einen Blumengroßhandel betrieb und zusätzlich noch mehrere mobile Blumenverkaufstände unterhielt, stirbt zwei Tage später im Krankenhaus. Die Schüsse stammen aus zwei Waffen. Eine davon ist die auch bei allen folgenden Taten verwendete Pistole der tschechischen Marke "Ceska", Kaliber 7,65 Millimeter, Typ 83, benutzt.

13. Juni 2001: Gleichfalls in Nürnberg wird abends der 49 Jahre alte türkische Änderungsschneider Abdurrahim Özüdogru in seinem Laden mit zwei Kopfschüssen niedergestreckt. Ein Komplize des Täters soll draußen in einem Auto gewartet haben.

27. Juni 2001: In Hamburg wird der 31-jährige Obst- und Gemüsehändler Süleyman Tasköprü am Vormittag mit drei Kopfschüssen in seinem Geschäft ermordet. Wie im ersten Fall stammen die Kugeln aus zwei Waffen. Marke und Typ der zweiten verwendeten Pistole, Kaliber 6,35 Millimeter, sind nicht feststellbar.

29. August 2001: Ebenfalls am Vormittag wird in München der 38 Jahre alte türkische Obst- und Gemüsehändler Habil Kilic in seinem erst wenige Monate zuvor eröffneten Frischwarenladen mit zwei Schüssen in den Kopf getötet.

25. Februar 2004: Wieder vormittags wird in Rostock der Dönerverkäufer Yunus Turgut ermordet. Der der 25 Jahre alte Türke, der als Aushilfe an dem Imbissstand arbeitete und sich illegal in der Bundesrepublik aufhielt, war erst wenige Tage zuvor von Hamburg nach Rostock gekommen.

9. Juni 2005: In Nürnberg findet ein Kunde den 50 Jahre alte Dönerbudenbesitzer Ismail Yasar tot hinter der Theke - niedergestreckt von fünf Schüssen. Als Tatzeitpunkt ermittelt die Polizei erneut den Vormittag. Bereits einige Tage vor dem Mord und auch kurz vor dem mutmaßlichen Tatzeitpunkt beobachten Zeugen zwei sich auffällig verhaltende Radfahrer in der Nähe von Yasars Dönerstand. Nach den beiden unbekannten Verdächtigen wird bislang erfolglos gefahndet.

15. Juni 2005: In München wird am frühen Abend der 41-jährige Theodoros Boulgarides erschossen. Der griechische Mitinhaber eines Schlüsseldienstes ist bislang das einzige Opfer ohne türkischen Migrationshintergrund.

4. April 2006: Gegen Mittag wird in Dortmund Mehmet Kubasik in seinem Kiosk in der Mallinckrodtstraße durch mehrere Schüsse unter anderem in den Kopf hingerichtet. Der türkischstämmige 39-Jährige hinterlässt eine Frau und drei Kinder.

6. April 2006: In Kassel wird der 21-jährige Halit Yozgat kurz nach 17.00 Uhr schwer verletzt in dem von ihm betriebenen Internet-Café gefunden. Von zwei Kugeln in den Kopf getroffen, verstirbt der in Kassel geborene Deutsche türkischer Herkunft noch am Tatort.


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