09.09.2004 |
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Den großen Bahnhof gab's nur für einen |
Von Pascal Beucker |
Vor
40 Jahren traf der Portugiese Armando Rodrigues de Sá im Bahnhof Köln-Deutz
ein. Die deutschen Medien feierten ihn am 10. September 1964 als
"einmillionsten Gastarbeiter". Köln war bis zum
Anwerbestopp 1973 zentraler Umsteigebahnhof für ArbeitsmigrantInnen
aus Spanien und Portugal. Als
sein Name ausgerufen wird, erschrickt er. Sollte etwa der Arm des
Diktators António de Oliveira Salazar bis nach Köln-Deutz reichen?
Erst nach langem Zögern entsteigt Armando Rodrigues de Sá dem Zug,
der ihn in drei Tagen von Lissabon an den Rhein und in eine fremde
Welt gebracht hat. Doch
auf dem Bahngleis erwarten den Übermüdeten nicht die Häscher des
portugiesischen Diktators, sondern die Werkskapelle von Felten &
Guilleaume mit "Auf, in den Kampf, Torero". Und Manfred
Dunkel, der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie
im Regierungsbezirk Köln, der verkündet: "Ohne die Mitarbeit
der Ausländer wäre unsere wirtschaftliche Entwicklung der letzten
Jahre nicht denkbar gewesen." Deswegen
auch hat die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
(BDA) Großes geplant mit Armando Rodrigues de Sá: Sie hat ihn zum
"millionsten Gastarbeiter" der Bundesrepublik Deutschland
auserkoren. So haben sich etliche Honoratioren, darunter die
Botschafter Spaniens und Portugals, und dutzende Journalisten
eingefunden, um den hageren Zimmermann aus dem nordportugiesischen
Dorf Vale de Madeiros feierlich zu begrüßen.
Zufällig
auserkoren Der
bedankt sich höflich auf Portugiesisch für den freundlichen Empfang.
Wie lange er in Deutschland bleiben werde, wisse er noch nicht. Aber
dass er Frau und Kinder so schnell wie möglich nachholen wolle. Nicht
nur dieser Traum sollte für ihn und viele andere
"Gastarbeiter" nicht in Erfüllung gehen. Dass
unter den 933 Spaniern und 173 Portugiesen, die an jenem 10. September
1964 mit zwei Sonderzügen auf dem tiefer gelegenen Gleis 12 des
Deutzer Bahnhofs eintrafen, die Wahl ausgerechnet auf ihn fiel, war
reiner Zufall. Denn der 38-Jährige war durch Blindtippen aus den
Vorauslisten herausgefischt worden. Allerdings waren die Männer der
BDA auf Nummer sicher gegangen: Für den Fall, dass ihr Auserkorener -
wie es tatsächlich 24 Portugiesen passierte - an der Grenze hängen
bleiben würde, hatten sie sich bereits einen Ersatzmann ausgesucht.
Aber der wurde nicht benötigt, und so wurde an jenem Tag nicht ein
anderer portugiesischer Zimmermann namens Varela, sondern Armando
Rodrigues de Sá zum wohl berühmtesten Gastarbeiter Deutschlands.
Ein
Foto geht um die Welt Sein
Foto kennt heute immer noch jedes Kind: ein unrasierter, verunsichert
wirkender Mann in blauer Arbeitshose, verschlissener Jacke und mit
breitkrempigem Hut, der mit einem Blumenstrauß auf seinem Begrüßungsgeschenk
sitzt. Die "Zündapp Sport Combiette" steht heute im Haus
der Geschichte in Bonn. 1955
schloss Deutschland das erste Anwerbeabkommen mit Italien ab, es
folgten Spanien, Griechenland, die Türkei, Marokko, Portugal,
Tunesien und zuletzt 1968 Jugoslawien. Während Italiener, Griechen, Türken
oder Jugoslawen grundsätzlich im Münchner Hauptbahnhof ankamen, ging
es für die Menschen von der iberischen Halbinsel an den Rhein. "Köln
war zentraler Umsteigebahnhof für Portugiesen und Spanier",
berichtet Jan Motte vom Landeszentrum für Zuwanderung
Nordrhein-Westfalen. Ab Mai 1961 kam einmal die Woche ein Sonderzug
mit spanischen Arbeitsmigranten im Deutzer Bahnhof an. Die ersten
sechzig Portugiesen erreichten Köln im Juli 1964. Regelmäßig
donnerstags trafen rund tausend "Gastarbeiter", wie sie
genannt wurden, von der iberischen Halbinsel in Köln ein, um von dort
quer über die Republik verteilt zu werden.
Mit
Koffern aus Pappe Bis
zum Anwerbestopp 1973 kamen insgesamt fast eine halbe Million Menschen
in Deutz an. Sie kamen ohne Familie, sprachen kein oder kaum Deutsch
und wussten fast nichts über ihre neue Heimat irgendwo im Ruhrgebiet
oder Baden-Württemberg. Einen
großen Empfang, wie er für den "millionsten Gastarbeiter"
inszeniert wurde, bekamen die Neuankömmlinge nicht, wie Oscar Calero,
damals spanischer Sozialbetreuer im Auftrag der Deutzer
Bahnhofsmission, berichtet: "Auf dem Bahnsteig standen schon
Angehörige und Bekannte in gespannter Aufregung. Dazwischen die Leute
vom Arbeitsamt und die Vertreter der Firmen, um wie jeden Donnerstag
die Sortierung der Ankommenden vorzunehmen. Die stiegen aus den Zügen,
bis zu tausend auf einmal, unrasiert, erschöpft, stinkend nach Mensch
am Ende einer manchmal viertägigen Reise. Mit ihren altertümlichen
Koffern aus Pappe, den Tonkrügen mit Wasser für unterwegs, zogen sie
den Bahnsteig entlang." Einer ungewissen Zukunft entgegen. Wie formulierte es noch Max Frisch? "Wir haben Arbeitskräfte gerufen, und es sind Menschen gekommen." |
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