30.12.2003 |
Startseite taz |
![]() |
Von Pascal Beucker und Frank Überall |
Letzter
Verhandlungstag des Jahres im Kölner Müllskandalprozess. Die
Botschaft, die "Kronzeuge" Ulrich Eisermann dem Gericht
vermittelt, ist einfach: Die Politik ist verdorben, er Opfer der
Umstände. Ein
Hauch deutscher Amtsstube weht durch den Raum. Ulrich Eisermann weiß,
wie er es sich heimelig macht. Alles muss seine Ordnung haben, das hat
er bei der Kölner Stadtverwaltung gelernt. Beinahe liebevoll zieht
der 59-Jährige seine in Pergamentpapier eingewickelte Vollkornstulle
aus der schwarzen Aktentasche, holt noch einen Apfel und eine Banane
heraus und drapiert sein kleines Fresspaket kunstvoll vor sich auf dem
Tisch. Seinen mitgebrachten blauen Ikea-Plastikbecher füllt er mit
Mineralwasser. Jetzt
kann es losgehen, jetzt ist er bereit. Ja, der frühere Leiter des städtischen
Hauptamts und spätere Geschäftsführer der städtischen
Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft AVG geht stets gut
vorbereitet in die Verhandlungstage im Müllskandalprozess. Heute
findet vor der 7. Großen Strafkammer des Kölner Landgerichts der
letzte Prozesstag in diesem Jahr statt. Das
soll also die Schlüsselfigur in den schmutzigen Kölner Müllgeschäften
sein? Der, der die Fäden beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage
und auch noch danach zog, dabei wie eine Spinne im Netz nur auf die nächste
"Provision" wartend? Der, der sich mit seinen Kumpanen vom
Korruptionskartell mit Vorliebe in Luxusrestaurants traf und die
abkassierten Millionen Euro im Sportwagen versteckte? Das Bild des edlen Ritters Auch
wenn es bei seinem Anblick im Gerichtssaal kaum zu glauben ist - es
handelt sich keinesfalls um eine Verwechslung, dieser Inbegriff eines
deutschen Bürokraten und der schillernde Millionen-Uli sind ein und
dieselbe Person. Und
Eisermann ist ein großer Geschichtenerzähler. Denn im Gegensatz zu
den Aussagen der mitangeklagten Norbert Rüther,
Ex-SPD-Ratsfraktionschef in Köln, und Sigfrid Michelfelder,
Ex-Manager beim Gummersbacher Anlagenbauer Steinmüller, haben seine
Erzählungen über die große, weite Schmiergeldwelt und das kleine kölsche
Politbiotop, die er stets mit finsterer Miene und ruhiger Stimme
detailreich wie launig zum Besten gibt, einen nicht zu unterschätzenden
Unterhaltungswert. Akribisch erinnert er sich an Treffen und
Verhandlungen mit den diversen "Häuptlingen" von Parteien
und Unternehmen in Gaststätten und Hotels mit Namen wie "Zum
Storchen" oder "Zur roten Lerche". Und geradezu genüsslich
lässt er immer wieder geschickt zwischendurch den ein oder anderen
mehr oder weniger prominenten Namen fallen. Die
schlichte Botschaft, die er dem Gericht vermitteln will: Die Politik
ist verdorben. Und die Wirtschaft auch. Der skrupellose Abkassierer
will sich als edler Ritter erscheinen lassen, der sich lange tapfer
den Feuer speienden Drachen entgegenwarf, bis er letztlich doch in
ihren Flammen umkam: "Die Selbstverständlichkeit, mit der in der
Wirtschaft mit solchen Provisionszahlungen gehandelt wurde, ließ mich
kapitulieren." Der
vorsitzende Richter Martin Baur bescheinigt Eisermann zu Recht eine
"Ausdrucksweise, die sehr plastisch, sehr greifbar ist".
Dazu gehört, dass der graue Bürokrat einen Hang zur bunten Sprache
hat. Da erscheint der Ex-Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes
als "die Diva von der Zeughausstraße". Aus dem
SPD-Strippenzieher, Stasi-Spitzel und Mitabzocker Karl Wienand wird
das "Karlchen", der immer viel "vor allem aus der
Historie" erzählt habe. Dem Viersener Müllmogul und
seinerzeitigen AVG-Mitgesellschafter Hellmut Trienekens bescheinigt er
"ein bisschen die Menschenfischerart von Herrn Rau". Über
den Ex-Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier weiß er zu berichten:
"Zwischen ihm und dem lieben Gott waren nur maximal drei
Millimeter Luft - ich weiß nur nicht, ob nach oben oder unten."
Und auf ihm vorgehaltene Kritik der städtischen Rechnungsprüfer an
der Überdimensionierung der Kölner Müllverbrennungsanlage (MVA)
erwidert er: "Die Hinterherwisser vom Rechnungsprüfungsamt sind
ja immer schlauer." Nein,
ein "Hinterherwisser" ist Ulrich Eisermann nicht. Er wusste
schon immer alles besser. Daran lässt er in seinen Ausführungen vor
Gericht nicht den Hauch eines Zweifel. So ist er selbstverständlich
immer noch unerschütterlich der Auffassung, beim Bau der Kölner Müllverbrennungsanlage
eigentlich alles richtig gemacht zu haben: "Die Qualität der
Anlage kann sich sehen lassen!" Sogar sein großes Abkassieren
von Steinmüller will er so perfekt gemanagt haben, dass dabei
"per Saldo ein Gewinn" für die AVG herausgesprungen sei. Die
Selbstgerechtigkeit, mit der er seine Anekdoten über die böse
Politik und den guten Amtmann präsentiert, ist beeindruckend. Ein
edler deutscher Beamter, der ein Opfer der Verhältnisse geworden ist
- das ist das Zerrbild, das der Ex-Müllmanager von sich zeichnet. Und
vieles spricht dafür, dass er sogar selber daran glaubt. Das richtige Parteibuch Nur
hat es nicht unbedingt viel mit der Wirklichkeit zu tun. Das wird
erkennbar, wenn er zum Beispiel eingestehen muss, Akten vernichtet zu
haben. Sie wurden nach dem Umzug der AVG in die Gebäude der gerade
frisch errichteten Müllverbrennungsanlage 1997 einfach im Müllofen
verbrannt. "Wenn Sie dutzende Akten und Kartons haben, dann müssen
Sie aussortieren", gibt er sich dann naiv. Auf die Idee, die
Akten der Stadt zu übergeben, sei er "nie gekommen". Eisermanns
Karriere beginnt in bewegten Zeiten. Aber mit denen hatte der junge
Ulrich nichts am Hut. Während andere seiner Generation gegen den
Schah von Persien, das Politestablishment und für den Sozialismus auf
die Barrikaden gehen, schlägt er 1967 die Inspektorenlaufbahn beim
Landschaftsverband Rheinland ein. Auch treiben ihn weniger
Reformverheißungen à la Willy Brandts "Mehr Demokratie
wagen" in die Arme der Sozialdemokratie. Vielmehr weiß Eisermann,
dass zu einer ordentlichen Beamtenkarriere das richtige Parteibuch gehört. Von der CDU geschasst In Köln
und Umgebung ist es zu dieser Zeit halt das der SPD. Stolz verweist
Ulrich Eisermann darauf, "immer zum frühestmöglichen Zeitpunkt
befördert" worden zu sein und es bis zum "höchstbezahlten
Lebenszeitbeamten" Kölns gebracht zu haben. Dann wechselt er auf
Geheiß Lothar Ruschmeiers in die Geschäftsführung der AVG. Seine
Karriere endet erst, als die Sozialdemokraten ihr rotes Fähnchen vom
Kölner Rathausdach einholen müssen und ihm CDU-Oberbürgermeister
Harry Blum den Rat gibt, aus "Gesundheitsgründen" seinen
Posten zu räumen. Bis
dahin hatte der Genosse allerdings bereits kräftig abkassiert - und
kassierte auch nach seinem unfreiwillig-freiwilligen Abgang munter
weiter. Als "Raubritter" und "Wegelagerer"
bezeichnete Sigfrid Michelfelder zutreffend seinen Kumpanen bei der
staatsanwaltlichen Vernehmung. Denn der Hobby-Jäger muss schier unersättlich
gewesen sein: ein gnadenloser Abzocker, der genommen hat, wo immer er
hat nehmen können. |
© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors. |