05.06.2003

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taz

*   Der Letzte der Ersten
Von Pascal Beucker

Oskar Nolze ist der einzige noch Verbliebene der ersten Kölner Ratspolitiker nach dem Krieg. Unter anderen Umständen würde die Stadt mächtig stolz auf ihn sein. Wäre er nicht ausgerechnet Kommunist.

Oskar NolzeEr lebte schon fast wieder ein Jahr in Köln, da wurde erst der Haftbefehl aufgehoben? "Ja, so war das." Der alte Mann lächelt. Und holt einen alten Aktenordner aus dem Wohnzimmerschrank. Alles ist gut sortiert. Zielsicher zieht er ein Blatt heraus "Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes" prangt auf dem Briefkopf. "Hier sehen Sie es schwarz auf weiß." Tatsächlich: Mit Beschluss vom 19. Juni 1970, so steht es auf dem vergilbten Papier, ist der 1953 erlassene Haftbefehl gegen Oskar Nolze aufgehoben worden. Das Verfahren "wegen Vorbereitung zum Hochverrat u.a." wurde eingestellt.

Oskar Nolze? Unter anderen Umständen würden nicht wenige Kölner seinen Namen kennen. Denn er ist etwas besonderes: Der letzte Überlebende der ersten Generation Kölner Ratspolitiker, die nach dem Zweiten Weltkrieg darangingen, aus einem zerbombten Trümmerhaufen wieder eine lebenswerte Stadt zu machen. Konrad Adenauer, Theo Burauen oder Peter Josef "Peco" Bouwens - Nolze hat sie alle überlebt.

Zumindest ein großer Empfang im Rathaus zu Nolzes 95. Geburtstag Mitte September wäre da schon eine Selbstverständlichkeit. Aber davon will Kölns CDU-Oberbürgermeister Fritz Schramma bislang nichts wissen. Denn der rüstige Oldie hat leider einen kleinen "Schönheitsfehler": Ausgerechnet ein Kommunist ist der Letzte der Ersten.

Sechs Jahre lang, von 1946 bis 1952, saß Oskar Nolze für die KPD im Kölner Rat. Die Zeit des Wiederaufbaus: "Was meinen Sie, was wir mit den CDU-lern geackert haben!", erinnert sich der 94-Jährige. "Wenn es nach denen gegangen wäre, hätten sie in Köln nur Kirchen gebaut!" Da habe es "ernste Diskussionen" gegeben.

Beispielsweise in der Stadtratssitzung vom 10. März 1949. "Mögen Sie Ihre Kirchen erhalten", gab Nolze da den Christdemokraten kontra, "aber die Planung einer gesamten Stadt, die nahezu zerstört ist, auf die Reste der Kirchen aufzubauen, das ist nach unserem Dafürhalten unmöglich." Schließlich müsse Köln "nach fortschrittlichen, vor allem nach verkehrstechnischen Gesichtspunkten" aufgebaut werden.

Es ist die Zeit der großen Not - und der großen Hoffnung. "Wir wissen, dass der Tag kommen wird, an dem die Arbeiterklasse sich wiedergefunden hat und geschlossen gegen den Krieg, gegen die deutschen Monopolkapitalisten auftreten wird", schmettert Nolze am 19. Juli 1951 seinen Ratskollegen entgegen.

Doch revolutionäre Anflüge bleiben die Ausnahme, wie ein Blick in die Ratsprotokolle zeigt. In der Regel geht es um Alltägliches. "Unsere Arbeit im Rat war ja eine ganz andere als heute", erzählt Nolze, "wir mussten uns vor allem um die ganz konkreten Probleme der Menschen kümmern". Zum Beispiel um den Erhalt des Neptunbads: Für das kämpft Nolze über Jahre verbissen. Immer wieder richtet der KPD-Ratsfraktionschef und Vorsitzende des Kölner Sportausschusses flammende Appelle an die Stadt, die drohende Schließung des Schwimmbads zu verhindern.

Oskar NolzeZum guten Schluss hat der ehemalige Leistungsschwimmer sogar die Christdemokraten überzeugt, der Bereitstellung finanzieller Mittel für die notwendige Renovierung zuzustimmen. "Denn die Erhaltung des Ehrenfelder Bades, ein Stück Kölner Geschichte, können wir nicht nur den Kommunisten überlassen", begründet dies ein CDU-Abgeordneter.

Auch noch Nolzes letzte Rede im Rat am 31. Juli 1952 dreht sich ums Schwimmen: Er erklärt, warum die fünfköpfige kommunistische Fraktion für einen Antrag der CDU stimmen wird. "Weil wir der Kölner Bevölkerung Freibäder, Schwimmbäder und Hallenbäder zur Verfügung stellen müssen", so der frühere deutsche Knabenschwimmmeister.

Peco Bouwens, inzwischen zum ersten Nachkriegspräsidenten des Deutschen Fußballbundes aufgestiegen und jeglicher linker Ideen unverdächtig, bescheinigt Nolze 1953 in einem Leumundszeugnis: Er habe ihn "unmittelbar nach dem Zusammenbruch 1945" im Stadtverordnetenkollegium von Köln als jemanden kennen gelernt, der sich "ohne parteipolitische Sonderinteressen zu vertreten, ausschließlich für die Behebung der großen Not, in der sich die Bevölkerung der meist zerstörten Stadt befand, eingesetzt" hätte.

Da ist die KPD schon ein Jahr lang nicht mehr im Kölner Rat. Nolze ist inzwischen hauptamtlicher KP-Funktionär - und Vorsitzender des Kölner Schwimm-Clubs 06. Zusammen mit dem im Februar diesen Jahres verstorbenen legendären Silberpfeil-Autorennfahrer Manfred von Brauchitsch engagiert er sich im Präsidium des "Komitees für Einheit und Freiheit im deutschen Sport", das sich für deutsch-deutsche Sportkontakte einsetzt.

Für Adenauers Bundesregierung ist das Komitee eine von der "Ostzone" gesteuerte Tarnorganisation. Nolze und von Brauchitsch werden verhaftet. Zehn Monate lang wird Nolze in die Strafanstalt München-Stadelheim in Untersuchungshaft gesperrt. Der Kalte Krieg und McCarthy werfen ihre tiefschwarzen Schatten. In der Bundesrepublik hat die Zeit der hysterischen Kommunistenjagd begonnen. Sie wird nicht nur 1956 zum Verbot der KPD, sondern auch bis Mitte der 60-er Jahre zu insgesamt weit über 100.000 Ermittlungsverfahren mit über 3.000 Verurteilungen mit zum Teil langjährigen Haftstrafen führen.

Die Verbitterung über die damaligen Vorgänge sitzt bei Oskar Nolze bis heute tief. Nein, nichts ist vergessen, nichts vergeben: "Hitler hat mich nicht gekriegt, der Dreckskerl Adenauer sperrte mich in den Knast!" entrüstet er sich. Seine Miene hat sich verdüstert, keine Spur mehr von dem gutmütigen Lächeln noch eine Minute zuvor. Adenauer, "der Schweinehund, dem sie heute noch Lorbeeren streuen", sei ein "Verbrecher" gewesen. Der Vorwurf des Oberbundesanwalts beim Bundesgerichtshofs gegen von Brauchitsch, Nolze und zwei weitere Angeklagte: Vorbereitung zum Hochverrat, Staatsgefährdung und Geheimbündelei.

Am 20. Juni 1955 soll ihnen der Prozess gemacht werden. Doch da sind sie schon nicht mehr da. Vor Gericht verliest ihr Anwalt, der DDR-Starjurist Friedrich Karl Kaul, eine Erklärung der vier, warum sie in die DDR flohen: Da es darum ginge, "eine Gesinnung zu verurteilen", würden sie die Rechtmäßigkeit der Anklage nicht anerkennen. Es würde "keiner Regierung und keiner Justiz möglich sein, durch Diffamierungen und Gesinnungsurteile die deutsche Verständigung aufzuhalten".

Die Entscheidung zur Flucht hatte allerdings nicht Nolze, sondern die KPD-Führung getroffen. "Du gehst mit dem von Brauchitsch in die DDR", sei ihm mitgeteilt worden, berichtet er. Widerspruch kam ihm selbstverständlich nicht in den Sinn: "Das war ja damals eine Kaderpartei, da ging es nicht so demokratisch zu wie heute." Warum auch? Die Partei hat immer recht - davon war auch Nolze lange Zeit fest überzeugt. Schließlich verstanden er und seine Genossen sich als treue "Marxisten-Leninisten".

Fünfzehn Jahre dauert sein Asyl in der DDR. An seiner Seite: seine Frau Wilma, auch sie KPD-Mitglied. Erst wenige Monate vor der Flucht hatten sie geheiratet. Ihr Sohn kommt 1956 in Ostberlin zur Welt. Seiner Schwimmleidenschaft bleibt Nolze auch hier treu: als Vizechef des Schwimmverbandes der DDR.

Doch auch wenn er heute im Rückblick von "den schönsten Jahren meines Lebens" schwärmt: Heimisch wird er im selbsternannten Arbeiter- und Bauernstaat nicht. Er sehnt sich zurück nach Köln. Mitte Januar 1969 - ein halbes Jahr, nachdem der Bundestag eine Amnestie für bis dahin begangene politische Straftaten im Zusammenhang mit der Kommunistenverfolgung erlassen hatte - wagt sich Nolze das erste Mal wieder auf bundesdeutschen Boden. Im Kölner Rathaus wird der mittlerweile 60-Jährige von zwei alten Freunden empfangen: dem inzwischen zum Oberbürgermeister aufgestiegenen Sozialdemokraten Theo Burauen und dem SPD-Ratsherrn Hans Grün. "Oskar, komm' nach Hause!" hätten die beiden zu ihm gesagt. Und: "Wir helfen dir!"

Oskar kam zurück. Die SPD besorgte Nolze eine neue Wohnung in Ehrenfeld und seiner Frau eine Arbeit bei der Sparkasse. Seine Freunde hätten ihn gewarnt, Versprechungen von Sozis zu trauen. "Aber", so erzählt er sichtlich gerührt, "die SPD hat Wort gehalten!" Mitglied wird er allerdings in der 1968 gegründeten DKP, der inoffiziellen Nachfolgerin der illegalisierten KPD. Etwas anderes sei "für einen Kommunisten nicht in Frage" gekommen.

Inzwischen leben Oskar und Wilma Nolze nicht mehr in Köln. Nein, diesmal mussten sie nicht fliehen: Im Alter wollten sie in der Nähe ihres Sohnes und dessen Frau leben. So zogen die beiden ins bergische Umland: nach Kürten in eine kleine, schlicht eingerichtete Mehrfamilienhauswohnung. Die 78-jährige Wilma ist immer noch in der DKP. Oskar hingegen ist vor einem Jahr ausgetreten. Die Partei sei ihm "zu sektiererisch" geworden. Nun ist er Mitglied der Kölner PDS. "Organisiert muss man sein", sagt er. Zur diesjährigen Hauptversammlung habe er allerdings leider nicht kommen können, da es ihm zu der Zeit gerade sehr schlecht gegangen sei. Sogar ans Sterben habe er gedacht. "Aber die letzten zwei, drei Wochen geht es mir wieder richtig gut." Die Lebenslust ist wieder da.

Wilma Nolze schenkt noch einmal die selbstgemachte Ananas-Bowle nach. "Was, schon so spät?", entfährt es ihr erschrocken. Ihr Mann sitzt immer noch putzmunter in seinem Sessel. Dabei ist es bereits nach Mitternacht. Fast fünf Stunden lang hat Oskar Nolze, der vor zwei Jahren einen Schlaganfall erlitt, aus seinem Leben erzählt. Ginge es nach ihm, er würde noch stundenlang weiter erzählen.

Aber die Zeit zum Aufbruch ist gekommen. Oskar Nolze fragt noch schnell, ob man denn auch die letzten beiden Bücher seines Namensvetters Oskar Lafontaine gelesen habe? "Die sind absolut hervorragend, die müssen Sie gelesen haben", fordert er mit entschlossener Stimme.

Und noch etwas bewegt ihn: "Haben Sie gestern das Spiel des FC gesehen?" Wilma schmunzelt: "Fan war er ja schon immer, aber jetzt ist er doch tatsächlich auch noch Mitglied beim 1. FC Köln geworden." Er habe halt "Farbe bekennen" wollen, sagt Oskar zum Abschied. Da ist er sich bis heute treu geblieben.

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NACHTRAG: Am 12. Februar 2004 hat Oberbürgermeister Fritz Schramma doch noch Oskar Nolze mit einem kleinen Empfang im Rathaus geehrt. Mit sichtbarer Freude trug sich einstige KPD-Ratsherr ins Goldene Buch der Stadt Köln ein. Am 1. Januar 2008 starb Oskar Nolze im Alter von 99 Jahren. In einem Kondolenzschreiben an seine Witwe würdigte der Christdemokrat Schramma das Wirken des aufrechten Linken: „Oskar Nolze hat sich in einer für unsere Stadt sehr schwierigen Zeit für das Wohl der Kölnerinnen und Kölner eingesetzt.“  

 

Zur Person: Oskar Nolze - überzeugter Kommunist, überzeugter Schwimmsportler
Oskar Nolze, 1955Die Schwimm- stand vor der politischen Karriere des am 10. September 1908 in Bonn geborenen Oskar Nolze: Ein Vetter begeisterte den damals Zehnjährigen unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg für den Schwimmsport. Vier Jahre später wurde er in Magdeburg Deutscher Knabenmeister und gehörte danach noch jahrelang einer der besten Schwimmstaffeln der Weimarer Republik an.Oskar Nolze, 1969

Zur KPD kam Nolze 1930. Er arbeitete zu der Zeit als Dienstfahrer für die Leonhard Tietz AG (aus der in der Nazizeit durch Zwangsarisierung der "Kaufhof" wurde), wo er nach dem großen Kölner Warenhausstreik 1932 als Mitglied des Streikkomitees entlassen wurde. Nachdem er sich einige Jahre mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten hatte, fand er 1938 eine neue feste Stelle als Direktionsfahrer bei der Ehrenfelder Maschinenfabrik Hermann Kolb. 1942 wurde Nolze zur Wehrmacht eingezogen.

Nach kurzer Kriegsgefangenschaft in Italien arbeitete er nach Ende des Zweiten Weltkriegs zunächst wieder für Kolb. Ende der 40-er Jahre wurde er hauptamtlicher KPD-Funktionär - ein Fehler, den er später "tief bereut" habe. Es sei falsch gewesen, dass die KPD "damals die guten Leute aus den Betrieben in die Parteibüros geholt" hätte.


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