Ralph Giordano feiert
heute in Köln seinen achtzigsten Geburtstag und schreibt an seiner
Autobiographie - die "Erinnerungen eines Davongekommenen"
Was
er zur Zeit macht? Natürlich: Ralph Giordano schreibt an einem Buch,
diesmal seiner Autobiographie. Wenn er sich nicht gerade in seiner
Hochhauswohnung in Köln-Bayenthal mit einem Rohrbruch herumschlagen
muss. „Ich habe schon Schlimmeres durchgestanden“, bemerkt er
lakonisch. In der Tat, denn einen passenderen Titel für sein
„Alterswerk“ hätte er nicht finden können: „Erinnerungen eines
Davongekommenen“ soll es heißen. Heute wird der „in Köln lebende
Hamburger Schriftsteller“, wie sich Giordano gern bezeichnen lässt,
80 Jahre alt. Trotz alledem.
Wenn er gefragt wird,
wie er die „Molesten“ seines Lebens überdauert habe, so antwortet
Giordano: Er habe sich ein Beispiel an seiner Mutter Lilly genommen.
Sie habe die Fähigkeit gehabt, „gute Laune zu verbreiten, zu lächeln,
sich zu freuen, wenn nötig, die Not gerecht zu verteilen und trotz fürchterlicher
Gegenerfahrungen weiter auf Menschen zuzugehen und ihnen gar zu
vertrauen“. Ihr Geheimnis, hinter das er erst später gekommen wäre,
sei eine Unfähigkeit gewesen: „Nämlich die, den Glauben an das
Leben zu verlieren, einen dauernden Sieg über das Leben auch nur eine
Sekunde lang für möglich zu halten“.
Diesen Glauben nicht zu
verlieren, das war tatsächlich eine Kunst: Damals, zur Zeit der
Kindheit und Jugend Ralph Giordanos. Damals, als die große Mehrheit
der Deutschen sich begeistert auf ins tausendjährige Reich machte und
ihrem „Führer“ zujubelte. Damals, als der kleine Junge schon
an seinem ersten Tag im April 1933 auf einem der angesehensten
Humanistischen Gymnasien Hamburgs erleben musste, wie die Schüler in
„Arier“ und „Nichtarier“ eingeteilt wurden. Damals, als er
1940 die Obersekunda verlassen musste, weil der Sohn einer Deutschen jüdischen
Glaubens und eines Sizilianers unter die Nürnberger Rassengesetze
fiel. Damals, als kurz vor Kriegsende seine Mutter deportiert werden
sollte, die Familie untertauchen musste und Hamburgerin sie in einem
rattenverseuchten Ruinenkeller versteckte. Bis die Giordanos kurz vor
dem Hungertod am 4. Mai 1945 von der 8. Britischen Armee befreit
wurden. Die furchtbare NS-Zeit prägt Giordano bis heute. „Das ist
ein Erlebnis, von dem man sich nie wieder erholt“, erzählt er. Noch
heute wache er auf und frage sich: „Giordano, lebst Du wirklich?“
Ein Jahr nach seiner
Befreiung trat Giordano der KPD bei. Er habe seinerzeit „geglaubt,
die Feinde meiner Feinde müssten meine Freunde sein“. Ein Irrtum,
wie er nach elf Jahren erkennen musste. Seinen Bruch mit der Partei,
die immer recht hat, im Jahre 1957 empfand er denn auch als eine
„zweite Befreiung“: Er sei die „elementare biographische
Voraussetzung“ dafür gewesen, „das Weltbild einer ungeteilten
Humanitas wiederzugewinnen und ihre Empörung gegen jede
Menschenrechtsverletzung, gleich von welchem System sie auch immer
begangen wird.“ Von nun an wollte er nie wieder der
„Internationale der Einäugigen“ angehören, deren „eine
Fraktion auf dem rechten, die andere auf dem linken Auge blind ist“.
Das leitet ihn bis
heute - ob als Fernsehdokumentarist zunächst für den NDR, dann für
den WDR, ob als Buchautor („Die Bertinis“, „Die zweite Schuld
oder Von der Last Deutscher zu sein“, „Israel, um Himmels Willen,
Israel“). Über 100 Fernsehfilme hat er mittlerweile gedreht, rund
20 Bücher veröffentlicht, unzählige Zeitungsartikel verfasst.
„Ich bin selbst erschüttert über meine Produktivität“,
schmunzelt Giordano. Doch an Ruhestand denkt der unbequeme Streiter
gegen rechtsradikale, antisemitische und inhumane gesellschaftliche
Tendenzen, der über „die gegenwärtige Weltlage nicht glücklich“
ist, auch weiterhin nicht.
Was sich der körperlich
kleine Mann mit der imposanten grau-weißen Haarpracht zum Geburtstag
wünscht? Er hoffe, „dass ich meinen Freunden und meinen Feinden
noch lange erhalten bleibe“. Ja, das hoffen wir auch. Ohne ihn wäre
die Bundesrepublik ärmer. Herzlichen Glückwunsch, Ralph Giordano!
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