20.03.2003

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taz

*   Unerschütterlich produktiv
Von Pascal Beucker

Ralph Giordano feiert heute in Köln seinen achtzigsten Geburtstag und schreibt an seiner Autobiographie - die "Erinnerungen eines Davongekommenen"

Ralph GiordanoWas er zur Zeit macht? Natürlich: Ralph Giordano schreibt an einem Buch, diesmal seiner Autobiographie. Wenn er sich nicht gerade in seiner Hochhauswohnung in Köln-Bayenthal mit einem Rohrbruch herumschlagen muss. „Ich habe schon Schlimmeres durchgestanden“, bemerkt er lakonisch. In der Tat, denn einen passenderen Titel für sein „Alterswerk“ hätte er nicht finden können: „Erinnerungen eines Davongekommenen“ soll es heißen. Heute wird der „in Köln lebende Hamburger Schriftsteller“, wie sich Giordano gern bezeichnen lässt, 80 Jahre alt. Trotz alledem.

Wenn er gefragt wird, wie er die „Molesten“ seines Lebens überdauert habe, so antwortet Giordano: Er habe sich ein Beispiel an seiner Mutter Lilly genommen. Sie habe die Fähigkeit gehabt, „gute Laune zu verbreiten, zu lächeln, sich zu freuen, wenn nötig, die Not gerecht zu verteilen und trotz fürchterlicher Gegenerfahrungen weiter auf Menschen zuzugehen und ihnen gar zu vertrauen“. Ihr Geheimnis, hinter das er erst später gekommen wäre, sei eine Unfähigkeit gewesen: „Nämlich die, den Glauben an das Leben zu verlieren, einen dauernden Sieg über das Leben auch nur eine Sekunde lang für möglich zu halten“.

Diesen Glauben nicht zu verlieren, das war tatsächlich eine Kunst: Damals, zur Zeit der Kindheit und Jugend Ralph Giordanos. Damals, als die große Mehrheit der Deutschen sich begeistert auf ins tausendjährige Reich machte und ihrem „Führer“ zujubelte. Damals, als der kleine Junge schon an seinem ersten Tag im April 1933 auf einem der angesehensten Humanistischen Gymnasien Hamburgs erleben musste, wie die Schüler in „Arier“ und „Nichtarier“ eingeteilt wurden. Damals, als er 1940 die Obersekunda verlassen musste, weil der Sohn einer Deutschen jüdischen Glaubens und eines Sizilianers unter die Nürnberger Rassengesetze fiel. Damals, als kurz vor Kriegsende seine Mutter deportiert werden sollte, die Familie untertauchen musste und Hamburgerin sie in einem rattenverseuchten Ruinenkeller versteckte. Bis die Giordanos kurz vor dem Hungertod am 4. Mai 1945 von der 8. Britischen Armee befreit wurden. Die furchtbare NS-Zeit prägt Giordano bis heute. „Das ist ein Erlebnis, von dem man sich nie wieder erholt“, erzählt er. Noch heute wache er auf und frage sich: „Giordano, lebst Du wirklich?“

Ein Jahr nach seiner Befreiung trat Giordano der KPD bei. Er habe seinerzeit „geglaubt, die Feinde meiner Feinde müssten meine Freunde sein“. Ein Irrtum, wie er nach elf Jahren erkennen musste. Seinen Bruch mit der Partei, die immer recht hat, im Jahre 1957 empfand er denn auch als eine „zweite Befreiung“: Er sei die „elementare biographische Voraussetzung“ dafür gewesen, „das Weltbild einer ungeteilten Humanitas wiederzugewinnen und ihre Empörung gegen jede Menschenrechtsverletzung, gleich von welchem System sie auch immer begangen wird.“ Von nun an wollte er nie wieder der „Internationale der Einäugigen“ angehören, deren „eine Fraktion auf dem rechten, die andere auf dem linken Auge blind ist“.

Das leitet ihn bis heute - ob als Fernsehdokumentarist zunächst für den NDR, dann für den WDR, ob als Buchautor („Die Bertinis“, „Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein“, „Israel, um Himmels Willen, Israel“). Über 100 Fernsehfilme hat er mittlerweile gedreht, rund 20 Bücher veröffentlicht, unzählige Zeitungsartikel verfasst. „Ich bin selbst erschüttert über meine Produktivität“, schmunzelt Giordano. Doch an Ruhestand denkt der unbequeme Streiter gegen rechtsradikale, antisemitische und inhumane gesellschaftliche Tendenzen, der über „die gegenwärtige Weltlage nicht glücklich“ ist, auch weiterhin nicht.

Was sich der körperlich kleine Mann mit der imposanten grau-weißen Haarpracht zum Geburtstag wünscht? Er hoffe, „dass ich meinen Freunden und meinen Feinden noch lange erhalten bleibe“. Ja, das hoffen wir auch. Ohne ihn wäre die Bundesrepublik ärmer. Herzlichen Glückwunsch, Ralph Giordano! Ad mea we'esrim!


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