20.05.1999 |
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Rote Farbe, dick aufgetragen |
Von Pascal Beucker |
Die Kriegsbefürworter
trugen auf dem grünen Sonder-Parteitag in Bielefeld den
Sieg davon. Die Verlierer treffen sich am 6. Juni in
Dortmund zum Wunden lecken.
Es war ein Parteitag im Ausnahmezustand. Umzäunt von NATO-Draht und Absperrgittern, geschützt von einem polizeilichen Großaufgebot und abgeschirmt vor unbotmäßigen "Krawallmachern" berieten die Grünen in Bielefeld über Krieg und Frieden. Die "Sonder-Bundesdelegiertenkonferenz" startete mit einstündiger Verspätung - zunächst hatte die Polizei den Delegierten den Zugang zur Bielefelder Seidenstickerhalle freiprügeln müssen. Über 60 Festnahmen und mehrere verletzte Demonstranten - eine einmalige Bilanz für eine grüne Veranstaltung. Wer es dann tatsächlich durch die Reihen der Protestierenden und Polizisten geschafft hatte und auch noch die beiden Einlaßkontrollen passieren konnte, wurde beim Betreten der Halle von einem penetranten Geruch begrüßt. Es roch nach Übergebenem. Buttersäure. Der Gestank hielt sich den ganzen Tag. Das Ambiente hätte nicht passender sein können. Und dann noch der Farbbeutelwurf. Auf den großen grünen Kriegsführer. So schnell, so präzise, trotz Saalschutz, trotz Bodyguards. Das hätte der alte Streetfighter zu seinen besten Zeiten nicht so gut hingekriegt. Vielleicht hat Fischer auch deswegen so allergisch reagiert: Ausgerechnet der einstige Frankfurter Straßenkämpfer hat gegen den Farbattentäter Strafantrag erstattet. Der hat sich am Montag der Polizei gestellt. Zuvor meldete sich der zielsichere Werfer noch von einer Telefonzelle aus bei der Neuen Westfälischen in Bielefeld. Nach Angaben der Redaktion hat er beteuert: "Die Verletzung war nicht das Ziel der Aktion." Fischers Trommelfellriß sei ein "Kollateralschaden". Aber: "Ich bereue nichts." Das wenigstens dürfte er mit Fischer gemeinsam haben. Für den Obergrünen war der Farbbeutelwurf ein Glücksfall. Heribert Prantl spöttelte in der Süddeutschen, die Spuren des Farbanschlages habe Fischer wie den Orden Pour le mérite getragen. Ein "Attentat" auf ihren Joschka - das bewegte den einen oder anderen Delegierten noch mehr als alle Schilderungen von irgendwelchen massakrierten Kosovo-Albanern. Ein rotes Ohr und Jackett für eine Mehrheit - billiger hätte es den deutschen Außenminister nicht treffen können. Eine andere Mehrheit wäre allerdings ohnehin ein Wunder gewesen. Denn Fischer hatte in seiner Parteitagsrede die Grenze scharf gezogen: "Ich halte zum jetzigen Zeitpunkt eine einseitige Einstellung - unbefristet - der Bombenangriffe für das grundfalsche Signal. Milosevic würde dadurch gestärkt und nicht geschwächt. Ich werde das nicht umsetzen, wenn Ihr das beschließt, damit das klar ist." Das war eine unverhohlene Rücktrittsdrohung. Demgegenüber mußten alle Argumente gegen den Krieg verblassen, so sehr sich auch die grünen Bundestagsdissidenten Annelie Buntenbach, Christian Simmert und Hans-Christian Ströbele redlich mühten. Immerhin konnte die nordrhein-westfälische Umweltministerin Bärbel Höhn einen Achtungserfolg erzielen. Ihre Rede für einen sofortigen und unbefristeten Stopp der NATO-Angriffe erhielt den größten Applaus auf dem Parteitag. Aber die Mehrheit stand: 444 Stimmen für den Antrag des Bundesvorstandes, in dem die Bundesregierung nur aufgefordert wird, "sich dafür einzusetzen, daß die NATO einseitig eine Unterbrechung der Luftangriffe auf Jugoslawien erklärt". Und von dem jeder wußte: Auch für ihn wird sich Fischer noch nicht einmal einsetzen. Für den Alternativ-Antrag von Ströbele, Höhn und anderen stimmten 318 Delegierte. Es habe viele gegeben, "die gesagt haben: Wir hätten gerne eurem Antrag zugestimmt, aber wir haben es aus Disziplin nicht gemacht", erklärte Höhn im Gespräch mit der taz ruhr. So wurde die Entscheidung über Krieg und Frieden zur Frage der Parteidisziplin. "Die Partei hat einen großen Schritt gemacht", kommentierte erfreut die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Kerstin Müller, das Ergebnis. Die Grünen hätten gezeigt, so Parteisprecherin Gunda Röstel, daß sie "auch in schwieriger Lage Verantwortung tragen können". Bettina Gaus drückte es in ihrem taz-Kommentar treffender aus: "Die Grünen sind die opportunistischste Partei Deutschlands." Christian Simmert, einer der sieben Abweichler in der grünen Bundestagsfraktion, übt sich trotzdem in Zweckoptimismus. Er sei zwar "tief enttäuscht" über die "grundsätzliche Wende in der Friedens- und Außenpolitik", die die Grünen vollzogen hätten. Aber er kann dem Bielefelder Parteitag auch etwas Positives abgewinnen: "Auch wenn wir uns mit unserem Antrag nach einem sofortigen und endgültigen Ende der Bombardierungen auf dem Parteitag nicht durchsetzen konnten, so haben wir für unsere Position wenigstens eine qualifizierte Minderheit von 40 Prozent erreicht." Damit ließe sich arbeiten. Deshalb käme für ihn ein Austritt aus der Partei und aus der Fraktion nicht in Frage. "Ich werde mich weiterhin für ein Ende des Krieges in meiner Fraktion einsetzen", so Simmert. Auch der stellvertretende nordrhein-westfälische Ministerpräsident Michael Vesper ermutigt zum Bleiben. "Ich war oft genug in der Minderheit, ich habe viel Erfahrung darin", sagt der grüne NRW-Vorzeige-Realo. Er könne "nur dazu raten, daß diejenigen, die unterlegen sind, sich nicht in ihren Frust zurückziehen, sondern daß sie weiter konstruktiv in der Partei mitarbeiten." Deshalb rufe er die Unterlegenen auf, so Vesper zur taz ruhr, "in der Partei zu bleiben und innerhalb der Partei für ihre Positionen zu werben." Eckhard Stratmann-Mertens hat eine andere Entscheidung getroffen. Das Gründungsmitglied der Öko-Partei ist 1983 der erste Grüne gewesen, der im Bundestag sprach. Am Donnerstag letzter Woche hielt der heute 51jährige Bochumer seine letzte Rede als Grüner. Nachdem sich die Forderung nach einem sofortigen und bedingungslosen Stopp des NATO-Bombardements nicht durchsetzen konnte, erklärte er noch auf dem Parteitag seinen Austritt. Nun hofft Stratmann-Mertens, daß die Grünen bei den Europawahlen "eine dramatische Niederlage erleiden, damit sie an der Wählergunst merken, daß ihr Kriegskurs keine Zustimmung findet". "In sehr vielen Kreis- und Ortsverbänden gärt es", weiß Stratmann-Mertens. "Teile ganzer Kommunalfraktionen überlegen, aus den Grünen auszuscheiden." Schon bei einer Zusammenkunft grüner Kriegsgegner unmittelbar nach Ende des Bielefelder Parteitages hatten viele der Anwesenden ihre Austrittswilligkeit bekundet. "Es werden weiße Flecken auf der grünen Landkarte entstehen, weil einige Kreis- und Ortsverbände einfach aufhören, zu existieren", prophezeite denn auch bereits unmittelbar nach Beendigung des Bundesparteitages der Hamburger Uli Cremer. Der Mitinitiator der grünen Anti-Kriegs-Initiative wollte allerdings über seine persönlichen Konsequenzen erst "noch ein paar Tage nachdenken". Solange wollten fünf Abgeordnete der GAL in Hamburg nicht mehr warten. Am Sonntag haben sie ihren Abschied von der ehemaligen Ökopaxe-Partei angekündigt und wollen eine eigene Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft gründen. In Nordrhein-Westfalen wird damit gerechnet, daß bis zu zehn Prozent der Mitglieder die Partei verlassen werden. Der grüne Spitzenkandidat in Essen für die im Herbst anstehenden Kommunalwahlen, Hans Peter Leymann-Kurtz, hat diesen Schritt bereits am Freitag vollzogen. Auch der langjährige Mülheimer Kreisvorstandssprecher Hartmut Kremer und der profilierte Bochumer Grüne Marin Budich haben die Partei verlassen. Und auch Daniel Loick. Für den Duisburger Studenten, Mitglied des Bundesvorstandes der ehemaligen FDP-Jugendorganisation Jungdemokraten, bedeutet die Unterstützung der Grünen "für den Kriegstreiberkurs der Regierung den Abschied der Partei von den letzten fortschrittlichen Positionen". Die Jungdemokraten, immer noch offiziell Ansprechpartner der Grünen im Jugendspektrum, wollen nun eine Kampagne starten: "Grüne unter fünf Prozent!" und mit "phantasievollen Aktionen" grüne Wahlkampfveranstaltungen beglücken. Daniel Kreutz hat sich hingegen noch nicht entschieden, was er jetzt machen will. "Weder in die eine noch in die andere Richtung." Die Meldung der taz, der 44jährigen Kölner habe bereits seinen Austritt erklärt, sei falsch, erklärte Kreutz am Samstag auf dem Hagener Landesparteitag der NRW-Grünen gegenüber der taz ruhr. Er will vielmehr erst noch mit politischen Freunden über mögliche Konsequenzen diskutieren. Daß er nicht so weitermachen kann, wie bisher, ist für den Landtagsabgeordneten allerdings klar. Denn die Partei habe ihr Gesicht verändert. "Mit dem Bekenntnis zum Krieg als Mittel der Politik wird das unumkehrbar", so Kreutz. "Ich baue meine politische Perspektive darauf, daß am 6. Juni in Dortmund ein Forum GrünLinks, ein Netzwerk für drinnen und draußen entsteht." Ob er dann drinnen oder draußen sein wird, will er bis dahin entschieden haben. In Dortmund wird Kreutz dann auch Stratmann-Mertens wiedertreffen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete setzt einige Hoffnungen in das Treffen der nicht-mehr- und noch-grünen Kriegsgegner am 6. Juni. "Der Austritt aus den Grünen darf nicht dazu führen, daß wir uns zurückziehen und politisch vereinsamen", sagt er. Darüberhinaus ginge es "um eine Art Brückenfunktion zu denen, die in der Minderheit sind in den Grünen". Die Organisatoren des Treffens rechnen inzwischen mit bis zu 600 Teilnehmern. |
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