08.04.1999



Grüne Krisenreaktionskräfte im Einsatz

Startseite
taz

*   Grüne Krisenreaktionskräfte im Einsatz
Von Pascal Beucker

Der Krieg gegen Jugoslawien entzweit den SPD-Juniorpartner. Der Bundesvorstand lädt zum Himmelfahrts-Parteitag. Austrittswelle hält an.

Reinhard Bütikofer ist sichtlich um Gelassenheit bemüht. Sicherlich würde in seiner Partei zur Zeit eine "sehr emotionale Debatte" geführt, denn schließlich gehe es ja auch "direkt an unsere Grundwerte". Aber es sei nicht nur eine emotionale Debatte, erklärt der politische Geschäftsführer der Grünen: "Ich bin sehr stolz zu sagen, es ist auch eine verantwortliche Debatte, die im Ganzen gekennzeichnet ist vom gegenseitigen Respekt dafür, daß tatsächlich auf beiden Seiten grüne Grundüberzeugungen im Spiele sind." Doch Bütikofer warnt auch: "Es gibt einige Stimmen, die dabei sind, die Grenze einer fairen Debatte zu überschreiten. Wir werden uns darum bemühen, daß dieses nicht weitergeht. Aber ich fordere alle auf, sich hier zurückzuhalten."

Für Karfreitag hatte der grüne Bundesvorstand kurzfristig zur Pressekonferenz ins "Haus der Geschichte" nach Bonn geladen. Die Führung des SPD-Juniorpartners sieht sich unter Handlungszwang. Wenige Monate vor den Europawahlen ist der Krieg gegen Jugoslawien zu einer gefährlichen Zerreißprobe für die Grünen geworden. Immer mehr Landes- und Kreisverbände protestieren gegen den Kriegskurs der rot-grünen Bundesregierung. Der Landesvorstand von Mecklenburg-Vorpommern hat inzwischen sogar dazu aufgerufen, der Bundestagsfraktion die Zusammenarbeit zu verweigern. Auf einem Sonderparteitag voraussichtlich am 13. Mai, an Christi Himmelfahrt, soll nun über den NATO-Einsatz in Jugoslawien und die Konsequenzen für die Grünen beraten werden. Der Realo Bütikofer gibt sich siegesgewiß: "Ich gehe davon aus, daß die Position, die der Bundesvorstand in dieser Diskussion vertritt, die deutliche Mehrheit der Partei hinter sich hat."

Im Bundeswahlprogramm aus dem letzten Jahr hieß es noch eindeutig: "Militärische Friedenserzwingung und Kampfeinsätze lehnen wir ab." Das ist jetzt nur noch Makulatur. Trotzdem haben noch nicht alle in der ehemals friedensbewegten Partei die neue regierungstaugliche grüne Friedenspolitikvariante verinnerlicht. An der Parteibasis brodelt es mächtig. Der Kreisvorstand der Bochumer und Wattenscheider Grünen hat gar beschlossen, den Europawahlkampf der eigenen Partei boykottieren zu wollen: "Wir sind es unserer Glaubwürdigkeit schuldig, uns nicht am Europawahlkampf zu beteiligen. Wir entschuldigen uns bei unseren WählerInnen. Eine solche rot-grüne Politik haben wir nicht gewollt." Die Aufmüpfigen fordern zudem eine Vorverlegung des grünen Sonderparteitages auf den 24. April. Zur Mitgliederversammlung am 20. April hat sich auch Parteisprecherin Antje Radcke in Bochum angesagt. Sie wird sich warm anziehen müssen.

Protest kommt auch von dem NRW-Landtagsabgeordneten Daniel Kreutz: "Ich schäme mich für eine grüne Bundestagsfraktion, die die NATO-Kriegspolitik mit großer Mehrheit mitträgt, statt dagegen aufzustehen." Die Kräfte, die in Deutschland für Frieden und Abrüstung stünden, seien unter der neuen Bundesregierung offensichtlich ebenso auf sich gestellt wie unter der alten, konstatiert Kreutz.

Mit einer parteiinternen Unterschriftensammlung versuchen die Kriegsgegner mobil zu machen: "Den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien sofort beenden!" Innerhalb weniger Tage unterzeichneten über 500 Mitglieder den Aufruf, in dem die grünen Regierungsmitglieder und Bundestagsabgeordneten aufgefordert werden, "ihre Unterstützung der abenteuerlichen NATO-Politik zu beenden, auf die Beschlußlage der grünen Partei zurückzukehren und ihren Einfluß zu benutzen, den Angriffskrieg gegen Jugoslawien sofort zu beenden".

"Es gibt eine unendliche Unruhe in der ganzen Partei", stellt Hans-Christian Ströbele fest. Er ist einer der sieben grünen Bundestagsabgeordneten, die sich gegen den Militärschlag gegen Jugoslawien gestellt haben, und der informelle Wortführer der Anti-Kriegsfraktion in den Grünen. Ströbele weiß, daß Tag für Tag seine Position in der Partei schwächer wird, denn immer mehr Mitglieder stimmen auf ihre Weise darüber ab, was sie von der neuen Linie ihrer Partei halten: Sie treten aus. An sie appelliert Ströbele: "Laßt uns diesen Kampf nicht allein führen!"

Doch viele halten den Kampf bereits für verloren. So hat die frühere Bundestagsabgeordnete Halo Saibold, deren Forderung nach einer Einschränkung von Flugreisen im letzten Jahr noch den Wahlkampf belebt hatte, ihrer Partei inzwischen den Rücken gekehrt. Ebenso die ehemalige bayrische Landtagsabgeordnete Ingrid Psimmas sowie der langjährige Bezirksvorsitzende von Niederbayern, Heinz Menzel, und die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Tübinger Gemeinderat, Claudia Haydt.

Ausgerechnet mit einer grünen Losung aus der Zeit des Bundestagswahlkampfs beschließt Markus Struben sein Rücktritts- und Austrittsschreiben: "Es ist Zeit für einen Politikwechsel." Über vier Jahre hatte der Student im Kreisvorstand der Euskirchener Grünen mitgearbeitet, jetzt will er nicht mehr: "Die Grünen organisieren nicht etwa einen breiten gesellschaftlichen Widerstand gegen die Militarisierung der Außenpolitik, sondern lassen es zu, daß Angriffskriege wieder zum Mittel der Außenpolitik werden." Mit ihrer Zustimmung zum Krieg gegen Jugoslawien hätten die Grünen "als antimilitaristische Kraft abgedankt". Damit sei ein wichtiger Grundsatz der Partei "komplett entsorgt worden", schreibt der 23jährige verbittert an seine nun ehemaligen Parteifreunde.

Auch Tilman Heller reicht's. "Ich habe an den Golfkriegsprotesten 1991 teilgenommen, weil ich gegen Krieg als Mittel der Politik bin", schreibt das bisherige Landesvorstandsmitglied der Berliner Grünen an seine bisherige Partei. "Jetzt bin ich Mitglied einer Partei, die nach weniger als 200 Tagen an der Regierung den ersten Angriffskrieg der Bundesrepublik Deutschland befiehlt." Sein bitteres Fazit: "Die historische Aufgabe der Grünen ist erledigt." Am Montag letzter Woche ist er aus der früheren Ökopaxe-Partei ausgetreten.

Bundesgeschäftsführer Bütikofer versucht die Austritte herunterzuspielen. Genaue Zahlen darüber, wieviele Mitglieder die Partei verlassen hätten, habe er nicht, erklärte er auf der Pressekonferenz am vergangenen Freitag. Er könne das "nur etwa überschlagen, und würde da sagen, es sind bisher zwischen 100 und 200 Austritte bundesweit". Einige Landesverbände hätten jedoch auch mitgeteilt, "bei ihnen gäbe es mehr Eintritte als Austritte, gerade auch in dieser Situation".

Erinnert sich noch einer an Dieter Burgmann? Durchnäßt vom Strahl eines Wasserwerfers war das Mitglied der ersten grünen Bundestagsfraktion einst vors Plenum des "Hohen Hauses" getreten, um gegen die Stationierung von Atomraketen in der Bundesrepublik zu protestieren. Seit vergangener Woche ist Dieter Burgmann nicht mehr Mitglied der Grünen, die er einst mitgegründet hatte.


© Pascal Beucker. Alle Rechte an Inhalt, Gestaltung, Fotos liegen beim Autor. Direkte und indirekte Kopien, sowie die Verwendung von Text und Bild nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung des Autors.