Heft 9/99 |
Der Seelenfänger |
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Von Pascal Beucker |
Ein Porträt des
Grünen Rezzo Schlauch. Auf Rezzo ist Verlaß. Grüne Sozialpolitik? "Wir müssen die alte Gießkanne aus der Hand legen." - "Der Sozialstaat mit seinen hohen Standards ist nicht zu halten." Grüne Wirtschaftspolitik? Als Oskar Lafontaine zurücktrat, meinte Rezzo, jetzt müßten "positive Signale für Wirtschaft und Unternehmen" im Vordergrund stehen. Grüne Menschenrechtspolitik? Schon vor der Bundestagswahl erklärte er, daß die Grünen die Grundgesetzänderung des Asylrechts "akzeptieren" würden. Grüne Friedenspolitik? Natürlich stand er beim Nato-Angriffskrieg seinen Mann an vorderster Propaganda-Front. Grüne Atompolitik? Die Restlaufzeiten der Reaktoren seien für ihn von nachrangiger Bedeutung, erzählte er Gerhard Schröder bei einem Schoppen Wein. Das sei natürlich nur seine persönliche Meinung. Hätten sich die Grünen einen Besseren als Rezzo Schlauch als ihren Fraktionschef aussuchen können? Vorsitzender der grünen Bundestagsfraktion in Zeiten der Regierungsbeteiligung - mit dem Job hatte eigentlich Werner Schulz fest gerechnet. Brav und ohne zu murren hatte der grüne Vorzeige-Ossi 1994 den Fraktionsvorsitz an Fischer abgetreten, als die Westgrünen nach vier Jahren Pause wieder im Bundestag mitspielen durften. "Ich bin davon ausgegangen, daß ich diesen Platz genauso anstandslos zurückbekomme", so Schulz. Er hatte die Rechnung ohne Rezzo Schlauch gemacht - und ohne den Machttaktiker Fischer. Schon bei der Vorauswahl innerhalb des Realo-Lagers in der Bundestagsfraktion unterlag Schulz seinem schwäbischen Kontrahenten, nachdem Fischer hinter den Kulissen deutlich gemacht hatte, wen er als seinen Nachfolger im Fraktionsvorsitz zu sehen wünschte. Damit war Schulz aus dem Rennen. "Personalpolitik nach der Methode Fischer, das heißt Personalplanung wie bei der FDJ", beschrieb der Zonen-Grüne nachher gegenüber der "Leipziger Volkszeitung" seine Erfahrungen. Politisch hätte die Wahl von Schulz keinen Unterschied gemacht, und in seinen rhetorischen Fähigkeiten steht er dem fülligen Schwaben auch in nichts nach. Gegen Schulz sprach allerdings, daß dieser Überzeugungstäter ist. Das ist Schlauch nicht. "Als Anwalt und Verteidiger habe ich gelernt, Sachverhalte zu artikulieren, von denen ich selbst nie hundertprozentig überzeugt sein mußte", erklärt der 51jährige seine Flexibilität. Also genau der Richtige an der Spitze der grünen Bundestagsfraktion. Er habe von jeher "zu jenen Grünen mit bürgerlichem Habitus (gehört), die eine arrivierte Mittelschicht repräsentieren", urteilte der "Tagesspiegel" über ihn. Der Außenminister kann auf seinen Statthalter rechnen. Schlauch ist Fischer eng verbunden. Schließlich haben die beiden einige prägende biographische Gemeinsamkeiten. Ein halbes Jahr vor dem derzeit beliebtesten deutschen Politiker wurde Schlauch wie dieser im baden-württembergischen Gerabronn geboren; im selben Krankenhaus, vom selben Personal wurden sie auf die Welt geholt. Beide engagierten sich früh für die Sache des Herrn: Fischer als Meßdiener in der katholischen Kirche, Schlauch als "Läutbube" in der evangelischen. Dann allerdings schlugen sie unterschiedliche Wege ein. Während Metzgerssohn Fischer die Schule abbrach und sich nach Frankfurt durchschlug, machte Schlauch, wie es sich für ein Pfarrerssöhnchen gehört, Abitur und blieb im Ländle. Auch sein Jura-Studium in Freiburg und Heidelberg absolvierte er zügig, in sechs Jahren. Die unterschiedliche Sozialisation der beiden Jungs mit derselben Hebamme zeigt heute kaum noch Wirkung. Zur Politik haben beide ein archaisches Verhältnis. "Bei Joschka ist alles Instinkt, bei mit geht alles durch den Bauch", charakterisiert Schlauch sich und seinen Außenminister. Nicht nur im Parlament vermeidet Schlauch ausdauerndes Arbeiten. "In Stuttgarter Gerichtsälen reiben sich seine Gegner die Hände, wenn der 51jährige Anwalt selbst Mandanten vertritt. Penibles Aktenstudium und den Hang zum Detail sagen ihm selbst Freunde nicht nach", lästerten die "Stuttgarter Nachrichten" bei seinem Amtsantritt als Fraktions-Chef der Grünen. Na und? Schlauch ist politischer Generalist. Detailwissen besitzt er nicht, aber er kann über alles reden. Wenn er von seinen Beratern und Mitarbeitern entsprechend gebrieft wird. Beispielsweise von Mathias Wagner. Der 25jährige hessische Realo ist Schlauchs persönlicher Referent. Und darf manchmal auch selber an die innerparteiliche Front. So ist Wagner einer der beiden Autoren des Ende Juni von Matthias Berninger und Cem Özdemir präsentierten junggrünen Positionspapiers, in dem die Jungen verquastet das formulieren durften, was die Alten denken: "Wir treten dabei ein für eine klare, machtbewußte, pragmatische Positionierung, aber auch eine teilweise Auswechslung der Mitgliedschaft." Wer sich beispielsweise "in Netzwerken zusammenschließt, einzig mit dem Ziel, Mehrheitsbeschlüsse der Partei zu torpedieren" - gemeint ist mit letzteren der Kriegsbeschluß auf dem Bielefelder Parteitag -, der solle sich doch bitteschön "überlegen, ob er nicht in einer linken Folkloregruppe besser aufgehoben ist, als in einer Partei". Notwendig sei für die Grünen "die Anerkennung von Führungspersönlichkeiten und Loyalität". Schlauch, das weiß er, hätte das so nicht sagen dürfen. Aber er war, wie es sich für einen guten Chef gehört, der erste, der das Traktat der grünen Jungschar öffentlich begrüßte. Ohnehin sucht Schlauch gerne den Kontakt zur Jugend. Besonders zu der von vorgestern. So schaut er nicht nur öfters mal bei der "Pizza-Connection" junger grüner und CDU-Bundestagsabgeordneter vorbei, sondern auch immer wieder bei studentischen Verbindungen. Schlauch stünde "dem verbindungsstudentischem Gedanken und auch den burschenschaflichen Prinzipien Ehre - Freiheit - Vaterland' noch aufgeschlossen gegenüber und ist gern zu Gast bei den Stuttgarter Verbindungen", sagt ein Burschenschafter, dessen Saufverein ihn auch schon mal zu Besuch hatte. Er "spüre, daß sich da was bewegt", erklärt Schlauch. Ob farbentragend oder schlagend - mit diesen Überbleibseln aus vordemokratischer Zeit diskutiert er gerne. Schließlich gibt es auch Folklore-Gruppen, deren Mitglieder bei den Grünen erwünscht sind. "Es gibt inzwischen höchst unterschiedliche Verbindungen", weiß er zu berichten. "Auch Grüne und Linke sind dabei." Wagner? Berninger? Auf jeden Fall weiß Schlauch, wovon und vor wem er redet. Schließlich war er früher selbst aktiv dabei. In der Burschenschaft Saxo-Silesia Freiburg. Er soll in der schlagenden Verbindung als guter Fechter bekannt gewesen sein. Als er 1968 von Freiburg nach Heidelberg wechselte, war's für ihn vorbei mit der Burschenherrlichkeit. Denn die glorreiche Zeit der Studentenrevolte war angebrochen. Der Zeitgeist stand links, die Bürgersöhnchen spielten nicht mehr mit Fechtutensilien, sondern Revolution. Und für die Burschen mit ihren lächerlichen Hütchen setzte es Hiebe. Besonders an der Uni Heidelberg. Da galt es, auf der richtigen Seite zu stehen. Rudi Dutschke soll mal wieder Schuld gewesen sein. Eine Diskussion zwischen dem 68er-Helden und Ralf Dahrendorf habe ihm den Kick gegeben, in die Politik zu gehen, behauptet der Vorsitzende der Grünen Bundestagsfraktion. Fasziniert habe ihn dabei "die Intensität, nicht die Argumente". Also machte Rezzo mit beim Revoluzzen, irgendwie. "Ich fühlte mich quasi als undogmatischer Linker." Doch das sind, wie es sich für die Polit-Aktivisten seiner Generation gehört, Geschichten, wie man sie den Enkeln erzählt. "Geblieben sind nur die künstlichen Vornamen, die sie sich in den Jahren des großen Andersseins zugelegt hatten: Halo, Rezzo, Joschka", schrieb Peter Gauweiler im letzten Jahr in der "taz". Er irrt. Nicht einmal das trifft auf den barocken Schwaben zu. Der "Rezzo" ist echt; den haben sich Schlauchs Eltern ausgesucht. Sein Namenspatron ist ein Ritter, der 1320 gestorben ist. Im Ländle wird eben Wert auf Tradition gelegt. Und so hält es auch Schlauch, über den die "FAZ" bereits 1984 urteilte, er sei ein "Glücksfall" für die Grünen, weil er "eher linke, politisch bewußte Positionen mit Heimatverbundenheit und Traditionsbewußtsein in Einklang" zu bringen verstehe. Im Ländle ist Schlauch schon lange ein Star. "Ich bin der Seelenfänger der Partei", sagt er selber von sich. In den Bierzelten der Provinz kommt er mit seiner Bollerrhetorik und seinem Hang zur Zote ebenso gut an, wie in den Szenekneipen der Landeshauptstadt. Nur Polizisten scheinen seine rhetorischen Fähigkeiten nicht recht würdigen zu können. So nahm es ihm die Gewerkschaft der Polizei (GdP) übel, als er bei einem Einsatz gegen Castor-Gegner am AKW Neckar-Westheim im März letzten Jahres zwei Polizisten als "Wichser" bezeichnete. "Für einen kurzen Moment hat der Bundestagsabgeordnete den Schafspelz abgelegt und seine wahre Einstellung zur Polizei und den Vorgängen in unserem demokratischen Staate gezeigt", empörte sich der baden-württembergische GdP-Landesvorsitzende. Das war natürlich Unsinn. Und Schlauch leistete auch umgehend Abbitte. Das Wort sei ihm nur "herausgerutscht". Er sei gerne bereit, sich bei den Beamten nicht nur schriftlich, sondern auch persönlich zu entschuldigen. Schlauchs Traumjob war immer, Oberbürgermeister im Ländle zu werden. Er findet, das Amt sei ihm "auf den Leib geschrieben". Dreimal hat er versucht, seinen Traum zu verwirklichen. Im kleinen Crailsheim schaffte er 1984 mit zwölf Prozent einen Achtungserfolg. Ebenso wie bei seiner ersten Kandidatur in Stuttgart 1990: Da kam er auf fast 21 Prozent. Sechs Jahre später hätte ers um ein Haar geschafft. Mit dem überzeugenden Wahlslogan "Niemand kennt den Roten. Niemand kennt den Schwarzen. Alle kennen Rezzo", war er in die Schlacht um das Erbe Manfred Rommels gezogen. Empfänge geben, Weinfeste besuchen und einmal im Jahr der Faßanstich auf dem Canstatter Wasen - er hätte sich nichts Schöneres vorstellen können. Und hätten die Sozialdemokraten seinerzeit darauf verzichtet, ihren aussichtslosen Kandidaten auch noch in den zweiten und entscheidenden Wahlgang zu schicken, wäre er heute der wohlbestallte Oberbürgermeister Stuttgarts. Doch sie verzichteten nicht. So siegte der CDU-Bewerber. Gerade mal 5.000 Stimmen fehlten Schlauch. Das nahm er übel: "Für die SPD habe ich keine Gefühlsregung mehr." Das ist lange vorbei. Auch seine schwarz-grünen Gedankenspiele aus früheren Jahren. Zumindest solange Rot-Grün hält. Es ist auch eigentlich egal. Denn Schlauch weiß, wo's langgeht: "Die Jungen kriegen wir nicht in ein Wahllokal mit Inhalten, sondern mit einem Feeling, und dieses Feeling kann nur über Personen vermittelt werden." Über solche wie Rezzo. Wie bei der ARD-Gala "Willkommen im Fußball-Land". Da durfte er sein Stuttgart als eine der Austragungstätten für die Fußballweltmeisterschaft 2006 anpreisen. |
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