03.02.1999 |
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Ein Polizist schert aus |
Von Pascal Beucker |
Im
Göktepe-Prozeß belastet ein Angeklagter den
Polizeipräsidenten und dessen Stellvertreter. Ragip Duran ist empört. "Journalisten werden eingesperrt, weil der Staat sich durch ihre Artikel bedroht sieht", ruft er durch ein Megaphon den um ihn versammelten Demonstranten zu. "Aber Polizisten, die einen Journalisten ermordet haben, sind auf freiem Fuß." Siebeneinhalb Monate saß der ehemalige BBC- und AFP-Mitarbeiter im Gefängnis - wegen eines Artikels über die PKK in der prokurdischen Tageszeitung Ülkede Gündem. Erst Dienstag letzter Woche war Duran, der unter dem Pseudonym Musa Akdemir auch als Korrespondent der französischen Tageszeitung Libération gearbeitet hatte, aus der Haft entlassen worden. Die Polizisten, die den Journalisten Metin Göktepe am 8. Januar 1996 erschlugen, sind schon länger wieder frei. Im Dezember waren sie von der Großen Strafkammer in Afyon aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Dort wird seit dem 20. August letzten Jahres wieder über den Fall Göktepe verhandelt. Zusammen mit rund tausend Menschen - unter ihnen ein gutes Dutzend ausländischer Prozeßbeobachter - ist Duran am vergangenen Freitag in die zentralanatolische Stadt gereist, um dem ersten Verhandlungstag im neuen Jahr beizuwohnen. Am 19. März 1998 war nach eineinhalb Jahren Prozeßführung das erstinstanzliche Urteil im Göktepe-Prozeß verkündet worden: Sechs der elf angeklagten Polizisten waren aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden, vier wurden zu jeweils sieben Jahren und sechs Monaten Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt. Ebenso ihr unmittelbarer Vorgesetzter Seydi Battal Köse, weil er die Anweisung gegeben hätte, gegen Göktepe vorzugehen, und nicht eingeschritten sei, als seine Untergebenen den Journalisten zu Tode prügelten. Damit war die Große Strafkammer in Afyon weitgehend den Anträgen der Staatsanwaltschaft gefolgt, die davon ausgegangen war, daß die Polizisten den Journalisten "nur" hatten foltern wollen und sein Tod ein "Unfall" gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft hatte für einen weiteren Angeklagten eine Verurteilung gefordert. Nachdem die angeklagten Polizisten sowie der Nebenklagevertreter der Familie Göktepe Berufung eingelegt hatten, hob der Kassationshof in Ankara das Urteil auf. Das Revisionsgericht hatte gleich eine Reihe von Verfahrensfehlern festgestellt. Es bemängelte, daß der Angeklagte Murat Polat zwar freigesprochen worden sei, obwohl in der Begründung des Freispruchs eine Mitschuld des Polizisten konstatiert wird, die eine Verurteilung zwingend erforderlich gemacht hätte. Außerdem wäre der Vorwurf der angeklagten Polizisten, sie seien bei den Vorermittlungen gefoltert worden, nicht berücksichtigt worden. Nach dem türkischen Recht muß erst in einem verwaltungsrechtlichen Vorverfahren darüber befunden werden, ob gegen Beamte Anklage erhoben werden darf. Die Verteidigung bemängelte, daß ihre Mandanten während dieses Vorverfahrens zu belastenden Aussagen gezwungen worden seien. Inzwischen läuft ein Verfahren gegen an den Vernehmungen beteiligte Polizisten. Daneben monierte der Kassationshof fehlende Unterschriften und Namensangaben auf Protokollen und falsche Meldedaten bei einem Angeklagten. Das Verfahren wurde daher an die Große Strafkammer in Afyon zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Der Verhandlungstag am Freitag dauerte gerade mal 22 Minuten, dann vertagte der Richter auf den 26. Februar. Es fehlten ihm wichtige Akten, die erst noch angefordert werden müssen, erklärte er: die Unterlagen des Verfahrens gegen die Polizisten, die ihre angeklagten Kollegen verprügelt haben sollen, und die Protokolle des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der sich 1997 mit dem Fall Göktepe beschäftigt hatte. Von den sechs Angeklagten war nur Köse zur Verhandlung erschienen. Der Vorgesetzte hat sich aus der gemeinsamen Verteidigungslinie gelöst und inzwischen eine eigenständige anwaltliche Vertretung. Er und die ihm unterstellten Polizisten hätten nur auf Anweisung gehandelt, so Köse. Es könne nicht rechtmäßig sein, daß weder gegen den Provinzpolizeipräsidenten und seinen Stellvertreter noch gegen den Kreispolizeipräsidenten ermittelt würde, während man ihm den Prozeß mache. Bei den Vorermittlungen hatte Köse einige der direkten Tatbeteiligung Beschuldigten schwer belastet. Ahmet Ülger, der Verteidiger der anderen fünf Angeklagten beharrt aber darauf, daß die von ihm vertretenen Polizisten unschuldig seien. "Alles andere als ein Freispruch wäre nicht gesetzeskonform", erklärte Ülger gegenüber Jungle World. Wenn es zu einer Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils käme, werde er sofort erneut Berufung einlegen. Seine Mandanten waren nicht zum Prozeßtermin erschienen. Der im ersten Verfahren freigesprochene Polat hat eine gute Entschuldigung: Er sitzt im Militärgefängnis von Van. Polat hatte sich gestellt, nachdem das Gericht im Dezember einen Haftbefehl gegen ihn erlassen hatte. Die Große Strafkammer hat nun beantragt, ihn nach Afyon zu überstellen. Die anderen vier, die wie Köse im Dezember aus der Untersuchungshaft entlassen worden waren, sind nach Aussage ihres Verteidigers Ülger aus einem einfachen Grund nicht da: "Weil sie nicht müssen." Nach dem Gesetz wären die Angeklagten zwar zur Anwesenheit verpflichtet gewesen, doch der Vorsitzende Richter hält ihr Erscheinen nicht für erforderlich. Und wo sich die Angeklagten zur Zeit befinden, weiß der Richter auch gar nicht, weil ihm von der Verteidigung als Anschriften nur die jeweiligen Polizeidienststellen genannt wurden und ihm das genügte. Wie schon in der ersten Instanz erweckt das Gericht nicht den Eindruck eines übermäßigen Interesses an einem zügigen Verfahrensverlauf. Es wird immer nur einmal monatlich verhandelt. "Es gibt in der Türkei keine unabhängige Justiz, das zeigt dieser Prozeß mehr als deutlich", ruft Duran den Demonstranten vor dem Gerichtssaal zu. Er will auch am 26. Februar wieder für Pressefreiheit und gegen Polizeiwillkür demonstrieren. Wenn er dann nicht schon wieder im Gefängnis sitzt. |
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