Uni-Sonderausgabe April 1998



Neuer Trend: Indoor-Demos

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*   Neuer Trend: Indoor-Demos
Von Pascal Beucker und Niels Holger Schmidt

Der "Lucky Streik" des vergangenen Wintersemesters ist längst Geschichte. Nun wird auf Kongressen demonstrativ getagt.

Wer in diesen Tagen eine der Hochschulen des Ruhrgebiets besucht, dem wird nichts Besonderes auffallen: Die übliche Geschäftigkeit zum Semesterbeginn. In der Duisburger Uni hängt in der ein oder anderen versteckten Ecke noch verschämt ein Plakat: "Streik!" An der Bochumer Ruhr-Uni liegt sogar noch eine "Resolution der Uni-VV" herum: "Wir streiken weiter, bis die Verantwortlichen auf unsere Forderungen angemessen reagieren." Doch nach "Streik" steht hier niemandem mehr der Sinn, obwohl "die Verantwortlichen" nach allgemeiner Auffassung der Studierenden nicht "angemessen" auf die studentischen Proteste im vergangenen Semester reagiert hatten. So sind nur noch wenige Spuren vom vermeintlich "größten studentischen Ausstand seit 1968" sichtbar, der im Herbst und Winter letzten Jahres Abwechslung in den grauen Uni-Alltag brachte.

Die FAZ hatte es schon Mitte Dezember 1997 gewußt: "Es hat lange gedauert, bis die Studenten protestierten, und alle, die so ,normalÔ sind, wie es der Bundeskanzler sagt, also die meisten, werden auch nicht lange auf die Straße gehen: Sie wollen durch Demonstrationen nicht erreichen, daß sie im Studium zurückfallen und die Not noch vergrößern." Und so ist es auch gekommen: Im Januar war schon wieder alles vorbei.

Was ist geblieben von der Studierendenbewegung des vergangenen Wintersemesters? Sie sei eine "Spaßguerilla für ein reibungsloses Studium", konstatierte die "Süddeutsche Zeitung". Die Mehrzahl der damals Protestierenden verabschiedete sich jedoch schnell wieder aus der "Guerilla" und übt sich längst wieder im reibungslosen Studieren. Den anderen scheint der Spaß abhanden gekommen zu sein. Etliche einstige StreikaktivistInnen hat inzwischen das Vereinsgründungsfieber und die Kongreßmania gepackt. So wird beispielsweise in Duisburg verbissen an der Gründung einer "Studierendengewerkschaft" gearbeitet, um "die Anliegen der Studierenden mit Gewicht zu artikulieren" und "unsere Bewegung voranzubringen". Die Idee wurde auf dem bundesweiten Kongreß "Bildung und Gesellschaft" (BuG) Mitte Januar in Berlin geboren. Das Gründungstreffen dieses "Bundesweiten Studierendenzusammenschlusses" soll in der Zeit vom 23. bis zum 27. April an der Uni-GH-Duisburg über die Bühne gehen.

Weniger Anklang fand im Revier die Idee einiger Studierender aus Berlin, Köln und noch ein paar weiteren Städten, die FDP zu unterwandern und zu übernehmen, um "studentische Belange endlich wirksam in die Politik zu tragen". "Wir verbinden mit unserer Initiative keine weiteren Orientierungen als eben genannte Einbringung der Betroffeneninteressen. Wie diese im einzelnen aussehen und umgesetzt werden sollen, wollen wir nicht vorgeben", erklärt das studentische "Projekt Absolute Mehrheit" in Berlin. Ähnlich präzise Zielvorstellungen formulierten Ex-Streikbewegte, die jedoch lieber gleich eine eigene "Studentenpartei" gründen und zur Bundestagswahl antreten wollten Ð "für eine ehrliche, vernünftige und zukunftsfähige Politik". "BündnisReform" und "Studi-Liste" kursierten zunächst als Namen für das gerade auch von Essener Studierenden getragene Projekt. Man einigte sich auf den Parteinamen "Vision", erstellte in Windeseile einen Satzungsentwurf und eine Beitragsordnung. Ende März fand der Gründungsparteitag statt. Doch seitdem ist die "Studentenpartei", die "ingenieurwissenschaftliche Lösungsansätze für die Politik" formulieren will, erstmal wieder in der Versenkung verschwunden.

Erfolgreicher verlief ein Treffen undogmatisch-linker Studierendenlisten Anfang Februar an der Ruhr-Uni Bochum, das mit der Gründung eines "Bündnisses linker und radikaldemokratischer Hochschulgruppen", kurz: LIRA, endete. Auch LIRA ist ein Produkt des Berliner BuG-Kongresses, wie Thomas Lohmeier, Mitglied der Duisburger Uni-Gruppe "Alternative Liste" und einer der InitiatorInnen, erläutert: "Wir haben uns am Rande des Berliner Kongresses mit anderen linken Gruppen aus Berlin, Bochum, Dortmund, Frankfurt, Gießen, Köln und Trier getroffen und festgestellt: Wir haben so viele Gemeinsamkeiten - es wird Zeit, daß wir endlich zusammenarbeiten." Zur ersten LIRA-Vorsitzenden wurde die 24jährige Germanistikstudentin Irina Neszeri gewählt, die wie Lohmeier in der Duisburger AL aktiv ist. Sie will Studierenden vermitteln, "daß gesellschaftliche Veränderungen nur durch aktive Gegenwehr zu erreichen" seien.

Ein "Bündnis für Umverteilung und Demokratie" hoben Studierende und ASten aus Bochum, Dortmund, Essen, Frankfurt und Gießen zusammen mit GewerkschaftlerInnen aus der Taufe. Geplant ist vom 5. bis zum 7. Juni ein Kongreß in Frankfurt, um in den Bundestagswahlkampf mit Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, sozialer Grundsicherung für alle Menschen und einer sozialen und demokratischen Reform des Bildungssystems einzugreifen. Andere StudierendenaktivistInnen mischen inzwischen im "DGB-Jugendwahlbündnis", das ebenfalls im Sommer eine Großdemonstration plant, oder den "Erfurter Erklärungs"-Initiativen mit, die ihren "Bochumer Ratschlag" im März an der Bochumer Ruhr-Uni abhielten und im Juni in Berlin eine Demonstration für einen "Politikwechsel" veranstalten wollen.

Und noch zwei Kongresse: Anfang Mai wollen sich Ruhrgebietsstudierende an der Essener Uni treffen, um eine inhaltliche Nachbereitung der Ereignisse des Wintersemesters und die Erkundung möglicher Zukunftsperspektiven zu versuchen. Außerdem soll der Berliner BuG-Kongreß eine Fortsetzung finden: In der ost-westfälischen Metropole Bielefeld bereitet ein Team Unentwegter ein Nachfolgemeeting unter dem Motto "Der Große Bildungsangriff" vor.

Doch aller Aktionismus darf nicht darüber hinwegtäuschen: Der Großteil der Studierenden zeigt sich von den diversen Post-Streik-Projekten und -Initiativen gänzlich unbeeindruckt und geht lieber dem alltäglichen Scheinerwerb nach. Daran werden auch von einigen ASten geplante "Aktionswochen" wohl wenig ändern. Nicht einmal auf die Wahlbeteiligung an den Studierendenparlamentswahlen hat sich die zerflossene Protestbewegung positiv ausgewirkt. Im Gegenteil: In Essen und Bochum lag sie sogar noch unter der des Vorjahres. "Zehn Wochen war die Uni krank, nun paukt sie wieder - Gott sei Dank", reimte die "Frankfurter Rundschau" im Januar über das Ende des "Lucky Streiks". Es herrscht wieder business as usual an den Hochschulen im Ruhrgebiet und anderswo.


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