30.09.1998



Nicht für ein Butterbrot

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Jungle World

*   Nicht für ein Butterbrot
Von Pascal Beucker

Ein Portrait der Expo 2000- und Ex-Treuhandchefin Birgit Breuel.

Was wäre wohl aus ihr geworden, wenn ihre Mutter am 7. September 1937 keine Birgit, sondern einen Birger geboren hätte? Birgit Breuel wird sich diese Frage häufiger gestellt haben. Denn als Sohn des renommierten Hamburger Privatbankiers Alwin Münchmeyer wäre sie in die Bank des Alten eingestiegen, wie sie es sich in jungen Jahren gewünscht hatte. Aber als Tochter? Das kam für den Patriarchen Münchmeyer nicht in Frage. Bankgeschäfte waren für ihn Männersache: Ihr Bruder erhielt den Vorzug.

Nach ihrem Abitur 1956 und einem Praktikum in der Vereinsbank Hamburg studiert Birgit Münchmeyer bis 1959 Politische Wissenschaften in Hamburg, Oxford und Genf. Die 21jährige heiratet den Verlagskaufmann Ernst Jürgen Breuel. Einen Studienabschluß macht sie nicht. Statt dessen legt sie die Prüfung zum Einzelhandelskaufmann ab, arbeitet als Direktionsassistentin zunächst im Hamburger Weltwirtschaftsarchiv, dann 1961/62 beim International Report in New York. Sie bringt drei Söhne zur Welt, den jüngsten Mitte der sechziger Jahre. Damit scheint ihre weitere "Laufbahn" vorherbestimmt: treusorgende Mutter, wie es sich ihr Vater immer gewünscht hatte.

Aber für Breuel ist die Mutterrolle der Beginn der politischen Karriere. Als ihr Ältester eingeschult wird, engagiert sie sich im Elternbeirat und streitet gegen die sozialdemokratische Hamburger Schulpolitik. 1966 tritt sie in die CDU ein. Vier Jahre später ist die nun 32jährige Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft. Als geborene Bankhaus Münchmeyer ist sie nicht für die Bildungspolitik prädestiniert: Sie avanciert zur Wirtschaftssprecherin der CDU. Ihr steht der Sinn nach Höherem.

1976 versucht Breuel als Direktkandidatin vergeblich den Sprung in den Bundestag. Ihr Stunde schlägt 1978: Als Ernst Albrecht in Niedersachsen die absolute Mehrheit gewinnt, beruft er die CDU-Frau in sein Kabinett. Sie wird Wirtschaftsministerin - ein Novum, denn bis dahin war noch nie ein "klassisches" Ressort in der Bundesrepublik an eine Frau vergeben worden. Ihr Vater sei "fassungslos, aber stolz" gewesen, berichtete Breuel später: "Eine Frau als Ministerin, das war für ihn etwas völlig Neues."

Weniger ungewohnt dürfte für ihn die Politik der Tochter gewesen sein. Ganz der Papa, propagiert sie die reine Lehre von der Marktwirtschaft und wettert gegen staatliche "Subventionitis". Die "Schule des Chicagoer Nobelpreisträgers Milton Friedman", verkündet sie, sei die einzige "nennenswerte Bewegung in der Wirtschaftspolitik". Das bringt ihr den Ruf ein, "einziger Mann im Kabinett Albrecht" zu sein.

Eine ihrer ersten Amtshandlungen ist die Einrichtung eines "Privatisierungsreferates". So kam das Land immerhin zur ersten privaten Kläranlage der Republik. Auch die Landesbeteiligung an Volkswagen hätte Breuel am liebsten verscherbelt. Das war Albrecht dann doch zu riskant. Im Gegensatz zu den Chicago Boys in Pinochets Chile mußte er in Niedersachsen Wahlen gewinnen.

Nach dem Verlust der absoluten CDU-Mehrheit 1986 wechselt Breuel vom Wirtschafts- ins Finanzministerium. Dort bleibt sie bis zu Schröders Wahlsieg 1990. Über ihre Zeit in der Landesregierung sagt sie heute: "Ich wurde Ministerin, weil ich eine Frau bin, und bin Ministerin geblieben, obwohl ich eine Frau bin."

Nur ein halbes Jahr nach ihrem Ausscheiden aus der niedersächsischen Landesregierung findet Birgit Breuel ein neues Betätigungsfeld: die Abwicklung der DDR. Zum Oktober 1990 wird das CDU-Bundesvorstandsmitglied in den Vorstand der Berliner Treuhandanstalt berufen. Nach der Ermordung Detlev Carsten Rohwedders im April 1991 wird sie Treuhand-Präsidentin - als "alle Männer kniffen", so ihr Mentor Helmut Kohl.

"Privatisierung ist die beste Form der Sanierung" lautete das Motto der neuen Chefin. Falsche Rücksichtnahmen waren bei dieser Aufgabe nicht mehr nötig. Für die entstehenden sozialen Verwerfungen ließen sich die vierzig Jahre Staatssozialismus prächtig verantwortlich machen. Zu Beginn seiner Tätigkeit hatte ihr Vorgänger Rohwedder noch über die Volkswirtschaft der verblichenen DDR festgestellt: "Der ganze Salat ist etwa 600 Milliarden Mark wert." Als die Treuhand ihre Arbeit zum 31. Dezember 1994 offiziell beendet, hat Breuel einen Verlust von mehreren hundert Milliarden Mark hingelegt.

Die Treuhand-Präsidentin könne "mit Stolz von sich sagen, daß es zuvor noch nie in der Geschichte der Menschheit gelungen ist, eine Volkswirtschaft mit einem derartigen finanziellen Aufwand zugrunde zu richten", resümierte Otto Köhler in konkret. Das macht sie selbstverständlich nicht. Schließlich sei sie "mit Kopf, Herz und Seele dabei" gewesen und bis heute davon überzeugt, "daß die Linie richtig war".

Nachdem sie die DDR-Volkswirtschaft erfolgreich beerdigt hat, kann sich die CDU-Frau wieder ihrem Lieblingsprojekt zuwenden: der Weltausstellung in Hannover. 1988 war die damalige niedersächsische Finanzministerin und Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Messe AG in endlosen Diskussionen vor allem mit dem früheren Kulturminister Eduard Peschel auf die grandiose Idee gekommen, verriet Breuel der Süddeutschen Zeitung.

Zwei Jahre später erhielt Hannover den Zuschlag des Internationalen Ausstellungsbüros. Am 1. April 1995 übernimmt Birgit Breuel das Amt der Expo-Generalkommissarin und wird so Beauftragte der Bundesregierung für die Weltausstellung 2000.

Die "Managerin des Jahres 1992" nimmt im April 1997 die Expo-Geschäftsführung selbst in die Hand und behauptet, die Expo werde mit einer "schwarzen Null" abschließen und die Steuerzahler keinen Pfennig kosten. Nahezu eine Unmöglichkeit - die es in der Geschichte der seit 1851 veranstalteten Weltausstellung noch nie gegeben hat.

Natürlich weiß das auch die Hanns-Martin-Schleyer-Preisträgerin. Schließlich trug bereits ihr erstes Buch von 1976 den programmatischen Titel "Es gibt kein Butterbrot umsonst". Die ehemalige Ministerin versteht ihr Handwerk und weiß Kalkulationen zu frisieren, bis das gewünschte Ergebnis herauskommt. Die 100 Millionen Mark, die das Entwicklungsministerium zur "Förderung der Teilnahme ärmerer Länder und internationaler Organisationen" der Expo zuschießt, zählt Breuel ebensowenig mit wie die Kosten für den deutschen Expo-Pavillon, den der Bund mit 175 und das Land Niedersachsen mit 95 Millionen Mark finanzieren.

Auch die Entlohnung des Generalkommissariats liegt bei der öffentlichen Hand: 45 Millionen Mark - darunter auch ihr Gehalt in Höhe von bis zu 1,2 Millionen Mark. Nach Information des Spiegel beläuft sich die verdeckte staatliche Expo-Finanzierung auf rund 400 Millionen Mark. Die vom Bund zu zahlenden Infrastrukturmaßnahmen von rund 572 Millionen Mark, wie der Ausbau der Autobahnen A2 und A7, sind da noch nicht mitgerechnet.

Auch für die Kalkulation der Einnahmen hat Breuel ein bißchen jongliert: So wurden die "sonstigen Erlöse" in einem Eckwertepapier von 1993 noch mit 270 Millionen Mark veranschlagt - mittlerweile sind sie auf 449 Millionen Mark aufgestockt worden. Zudem geht Breuel von der unrealistischen, aber nützlichen Schätzung aus, daß 40 Millionen zahlende Besucher zur Expo kommen werden. Breuel ficht die Kritik an ihrem Finanzgebaren nicht an. Sie ist durch ihre Treuhandarbeit gewohnt, ganz andere Defizite schönzurechnen. Sie will sich wegen einiger Millionen Mieser nicht in die Suppe spucken lassen und unbedingt "das Kommunikationsereignis im Jahr 2000" realisieren. "Aber anstatt uns für diese Idee zu begeistern, lassen wir eben lieber die Kulturpessimisten und Bedenkenträger ganz vorne marschieren", meint sie.

In ihrem Büro in der Hannoveraner Thurnithistraße hat sie zwei Geschenke ihres 1990 gestorbenen Vaters auf dem Regal hinter ihrem Schreibtisch drapiert: die Modelle der Marineschulschiffe Gorch Fock und Passat. Die Schirmfrau der diesjährigen 51. Internationalen Deutschen Hochschulmeisterschaften im Rudern hat gelernt, sich über Wasser zu halten.

Am "Tag der deutschen Einheit" am 3. Oktober wird sie trotz aller Anfechtungen in Hannover für ihre Expo mit einem elf mal fünfzehn Meter großen "Tor der Zukunft" und großem Deutsch-Rock-Programm werben. Dabei blickt die 61jährige inzwischen schon weiter: "Nach der Expo wird es für mich nur eine Herausforderung geben - einfach nur zu Hause bleiben."

Sie wird dann in aller Ruhe auf ein bewegtes Leben zurückblicken und dem verblichenen Alwin Münchmeyer danken, dem Goßen Bundesverdienstkreuzträger mit Stern und Schulterband, der ihr viele Tore, nur nicht die zu seiner Bank, geöffnet hat. Die ist 1983 zusammengebrochen. Glück gehabt.


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