25.03.1998 |
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Zweierlei Gerechtigkeit |
Von Pascal Beucker |
Während
im Göktepe-Prozeß ein mildes Urteil erging, bleibt die
Justiz gegen fünf Studierende hart - sie bleiben
weiterhin in Haft. Der Journalist Metin Göktepe ist von türkischen Polizisten umgebracht worden. Zu dieser Feststellung ist nun auch das Schwurgericht in der anatolischen Provinzhauptstadt Afyon gelangt. Am Donnerstag vergangener Woche verkündete es sein Urteil im Göktepe-Prozeß nach einer Verhandlungsdauer von mehr als eineinhalb Jahren. Das Gericht hielt es für erwiesen, daß fünf der elf angeklagten Polizisten Göktepe Anfang 1996 zu Tode geprügelt haben, ging aber nicht von einer Tötungsabsicht aus. Daher verurteilte es Suayip Mutluer, Saffet Hizarci, Fedai Korkmaz, Metin Küsat und Seydi Battal Köse zu je sieben Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Nach den türkischen Strafvollzugsbestimmungen können sie mit einer vorzeitigen Haftentlassung nach Verbüßung von 40 Prozent der Strafzeit rechnen. Sechs weitere Angeklagte wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Damit folgte das Gericht weitgehend den Vorgaben der Staatsanwaltschaft, die davon ausgegangen war, daß die Polizisten den Journalisten nur hatten foltern wollen und sein Tod dabei lediglich ein "Unfall" gewesen sei. Das Urteil sorgte im überfüllten Gerichtssaal von Afyon für Empörung. Bis zuletzt hatte die Familie Göktepe, die im Prozeß als Nebenklägerin auftrat, auf eine Verurteilung aller Angeklagten wegen Mordes gehofft. Enttäuscht sprach Fadime Göktepe, die Mutter des Opfers, von einem "Mafia-Urteil": "Mein Sohn wollte die Wahrheit wissen, deshalb mußte er sterben." Die Polizisten hätten im staatlichen Auftrag gehandelt, daher würde der Staat nun die Mörder ihres Sohnes schützen. Der gesamte Göktepe-Prozeß sei ein "exemplarischer Fall für die Mißachtung der Menschenrechte in der Türkei", stellte Nebenklage-Anwalt Kamil Tekin Sürek fest. Das Ergebnis sei entsprechend ausgefallen. Das Urteil verschweige die "Mitverantwortlichkeit des gesamten Polizeiapparates", erklärte Sürek. Er kündigte Berufung an. Der sozialdemokratische Parlamentsabgeordnete Sabri Ergül sprach von einem "schockierenden Urteil": "Solche Urteile bringen die Türkei in der Weltöffentlichkeit in Verruf." Ebenso deutlich fiel die Kritik von Robert Menard aus, der für "Reporter ohne Grenzen" den Prozeß beobachtete. Das Urteil sei "skandalös" und "inakzeptabel". In der Türkei gelte offensichtlich zweierlei Gerechtigkeit, sagte der französische Journalist: Folterer und Mörder im Staatsdienst erhielten Freisprüche oder milde Strafen, "während Jugendliche, die Sprüche an Wände sprühen, zu 15 Jahren Haft verurteilt werden". In den türkischen Nachrichtensendungen war der Göktepe-Prozeß Top-Thema. Auch dort wurde das milde Urteil kritisch bewertet. Metin Göktepe, Reporter der mittlerweile geschlossenen linken Tageszeitung Evrensel, war am 8. Januar 1996 verhaftet worden, als er in Istanbul über die Beerdigung zweier politischer Gefangener berichten wollte, die im Gefängnis erschlagen worden waren. Die Polizei löste die Trauerfeier gewaltsam auf und nahm über 1 000 Menschen fest. Göktepe wurde mit 704 weiteren Verhafteten in eine Sporthalle im Istanbuler Stadtteil Eyüp gebracht. Wenige hundert Meter von dieser Halle entfernt fand man später seine Leiche. Zunächst behaupteten sowohl der Polizeipräsident von Istanbul als auch der türkische Innenminister, der 27jährige habe sich zum Zeitpunkt seines Todes nicht in Haft befunden und sei durch einen Unfall ohne Fremdeinwirkung gestorben. Die damalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller leugnete gar, daß Göktepe festgenommen worden sei. Fernsehaufnahmen, die die Festnahme dokumentierten, widerlegten jedoch diese Behauptung. Laut Augenzeugenberichten unterzogen Polizisten Göktepe in der Sporthalle einer "Sonderbehandlung", nachdem sie ihn als Journalisten identifiziert hatten. Der Autopsie-Bericht stellte schwere körperliche Mißhandlungen fest. Die Todesursache war demzufolge eine von Knüppelschlägen verursachte Gehirnblutung. Göktepe trafen sechs Schläge am Kopf; jeder einzelne war dem Gutachten zufolge tödlich. Im Sommer 1996 begann wegen des öffentlichen Drucks der Prozeß gegen die an der Tötung Göktepes mutmaßlich beteiligten Polizisten. Zweimal wurde der Prozeßort aus "Sicherheitsgründen" verlegt, um die Öffentlichkeit fernzuhalten. Die Angeklagten erschienen bis August letzten Jahres nicht vor Gericht. Im November erklärte sich dann der Vorsitzende Richter Kamil Serif selber für "befangen". Serif, der von Anfang an keinen Aufklärungswillen hatte erkennen lassen und dem vorgeworfen worden war, das Verfahren bewußt zu verschleppen, begründete seine Entscheidung mit dem "wachsenden Druck" aus dem In- und Ausland, der ihm eine unabhängige Prozeßführung unmöglich machen würde. In einer Spontanaktion nach Prozeßende warfen rund 100 Journalisten aller größeren Zeitungen und Fernsehsender Stifte und Kugelschreiber auf einem Platz in Afyon zu Boden, um damit symbolisch gegen die Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei zu protestieren. Nur einen Tag vor der Urteilsverkündung im Göktepe-Prozeß sorgte eine andere Gerichtsentscheidung für landesweites Aufsehen: Das Kassationsgericht in Ankara hob die Urteile gegen acht Studierende auf, denen wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer illegalen Vereinigung der Prozeß gemacht worden war. Im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung vor dem Staatssicherheitsgericht seien gravierende Rechtsfehler begangen worden, urteilte das Kassationsgericht. Nun wird eine andere Kammer des Staatssicherheitsgerichts den Fall neu aufnehmen müssen. Die fünf Studierenden jedoch bleiben weiterhin in Haft. Den Studierenden waren 1996 verhaftet worden, nachdem sie im türkischen Parlament ein Transparent entrollt hatten, auf dem sie gegen Studiengebühren protestierten. Die Staatsanwaltschaft klagte sie nicht nur wegen dieser Aktion an, sondern auch wegen "Mitgliedschaft und Unterstützung einer verbotenen, bewaffneten Organisation, die sich zum Zwecke der gewaltsamen Veränderung der staatlichen Ordnung organisiert". Die Studierenden würden der verbotenen Gruppe "Dev Yol" angehören. Allerdings gibt es bis heute keine Hinweise darauf, daß sich diese Organisation nach ihrem Verbot nach dem Militärputsch Anfang der achtziger Jahre in der Illegalität neu konstituiert hat. Das Sicherheitsgericht hatte vier Studierende zu jeweils 18 Jahren, einen zu zwölf Jahren und drei zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, was zu landesweiten Studentenprotesten geführt hatte. In mehreren türkischen Städten fanden anläßlich der Urteilsverkündung Solidaritätsaktionen statt. In Ankara wurde eine Protestkundgebung von einem Großaufgebot der Polizei gewaltsam aufgelöst. Die Polizisten gingen dabei mit äußerster Brutalität vor und setzten Schlagstöcke, Kampfhunde und Wasserwerfer gegen die friedlich demonstrierenden Studierenden ein. Mehrere Dutzend Studierende wurden dabei zum Teil schwer verletzt, mehr als 100 festgenommen. Bis zum Wochenende waren noch mindestens 40 in Untersuchungshaft. Gegen sie ermittelt der Oberstaatsanwalt beim Staatssicherheitsgericht. Die Polizei führte Hausdurchsuchungen in den Wohnungen der Verhafteten durch. Auch in Istanbul ging die Polizei gewaltsam gegen Protestierende vor. Insgesamt sollen rund 370 Studierende festgenommen worden sein. |
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