08.01.1998 |
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Chronik eines Todes |
Von Pascal Beucker |
Vor
zwei Jahren wurde der türkische Journalist Metin
Göktepe von Polizisten ermordet. Er war kein Star-Kolumnist, schrieb nicht für die großen Blätter, sondern nur für eine kleine, unbedeutende linke Zeitung - und doch kennt in der Türkei jeder seinen Namen: Metin Göktepe. Seine Ermordung am 8. Januar 1996 ist zu einem Symbol für die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der Türkei geworden. Erst seit drei Jahren arbeitete Metin Göktepe als Journalist - zunächst als freier Mitarbeiter für die Wochenzeitschrift Gerçek, dann als Redakteur der Tageszeitung Evrensel. Göktepe befasste sich mit den unterschlagenen Problemen der Türkei: Er schilderte den Überlebenskampf in den Armensiedlungen Istanbuls. Er berichtete über den stillen Protest der Samstagsmütter, die sich bis heute Woche für Woche im Istanbuler Stadtteil Galatasaray unter Polizeibewachung zusammenfinden, um auf das Schicksal ihrer Söhne und Töchter aufmerksam zu machen, die von Todesschwadronen ermordet wurden oder einfach als "vermisst" gelten. Und er schrieb über Oppositionelle, die in Polizeihaft zu Tode kamen. Auch an jenem 8. Januar 1996 sollte dies sein Thema sein. Am Morgen bricht der 27jährige zu einer Reportage über die Begräbnisfeierlichkeiten für Orhan Özen und Riza Baybas auf. In Ümraniye, dem Gefängnis für politische Gefangene in Istanbul, war es am 4. Januar zu einer Revolte gekommen. Vier Häftlinge starben bei der blutigen Niederschlagung des Gefangenenaufstandes, darunter Özen und Baybas. Zunächst führt Göktepes Weg in die Istanbuler Gerichtsmedizin - ein häufig von ihm aufgesuchter Ort, denn hier werden die offiziellen Autopsie-Befunde getöteter Menschen bekannt gegeben. Göktepe will zusammen mit weiteren Journalisten der Überführung der beiden Leichen in das alewitische Gemeindezentrum im Stadtteil Alibeyköy beiwohnen. Begleitet von mehreren Polizeifahrzeugen startet um 11 Uhr der Begräbniskonvoi. In einem Auto der links-liberalen Tageszeitung Cumhuriyet fährt Göktepe gemeinsam mit drei Kollegen von der Nachrichtenagentur UBA und dem Cumhuriyet-Reporter Kerem Ilgaz hinterher. Im dichten Verkehr verlieren sie den Anschluss an den Trauerzug. So treffen sie erst in Alibeyköy ein, als die Beisetzungsfeierlichkeiten schon begonnen haben. Bereits am Ortseingang wartet auf die vier Journalisten eine Polizeikontrolle. Sie werden durchgelassen. An der zweiten Polizeisperre ist ihre Fahrt zu Ende. Die Reporter wollen zu Fuß weiter. Doch man lässt sie nicht. Nur Kaya, einer der UBA-Mitarbeiter, wird durchgelassen. Er hat als einziger einen "gelben", staatlichen Presseausweis. Die anderen verfügen nur über Ausweise, die von ihren Redaktionen ausgestellt wurden. Göktepe, Ilgaz und ein weiterer UBA-Journalist beschließen, die Polizei davon zu überzeugen, sie doch durchzulassen. Doch die Polizisten zeigen sich unnachgiebig. Sie hätten die Anweisung, niemanden ohne "gelbe" Pressekarte passieren zu lassen. Die Journalisten kennen diese Polizeitaktik, Schikanen sind sie gewöhnt. Der stellvertretende Hauptkommissar Mehmet Isbitiren tritt zu den Debattierenden. Er hat es auf Göktepe abgesehen: "Du redest zuviel, wir nehmen dich jetzt mit." Polizisten greifen Göktepe und schleppen ihn in einen Bus. Er ist schon mit über hundert Verhafteten gefüllt. Die Polizeiführung hat beschlossen, die Trauerfeier gewaltsam aufzulösen. Nach den Polizeiprotokollen verhaften die Sicherheitskräfte insgesamt 1 052 Menschen. 308 Festgenommene werden auf verschiedene Polizeiwachen gebracht, 39 ins "Amt für Terrorbekämpfung", 705 landen in der Sporthalle von Eyüp - darunter Metin Göktepe. Bereits im Bus treffen ihn die ersten Schläge. In der Sporthalle empfangen Polizisten des Mobilen Einsatzkommandos die Festgenommenen mit Beschimpfungen und Schlägen. "Ich bin Metin Göktepe und Journalist", ruft Göktepe, als er hereingeführt wird. "Ich bin Reporter der Zeitung Evrensel Gazetesi. Warum schlagen Sie mich?" - "Der soll Journalist sein? Dem verpassen wir eine Spezialbehandlung", grölt ein Polizist. Seine Kollegen stürzen sich auf Göktepe, treten ihn, schlagen mit Fäusten und Knüppeln auf ihn ein. Er wird bewusstlos. Als Göktepe wieder zu sich kommt, wird er in eine Toilette geschleppt, sein blutüberströmtes Gesicht wird gewaschen. Dann bringt man Göktepe in das Kohlenlager der Sporthalle. Ein Masseur wird geholt, aber kein Arzt. Der Masseur legt Göktepe einen kalten Umschlag auf das geschundene Gesicht, gibt ihm zu essen und zu trinken. Er glaubt, die Übelkeit Göktepes beruhe auf Hunger. Immer wieder wird Göktepe bewusstlos. Vier Polizisten tragen ihn in den Garten der Sporthalle. Göktepe stirbt dort. Am Abend des 8. Januar meldet sich ein anonymer Anrufer bei der Evrensel-Redaktion und teilt mit, Metin Göktepe sei von Polizisten erschlagen worden. Die zuständigen Polizeistellen bestreiten gegenüber dem Herausgeber Vedat Korkmaz diese Information. Die Leiche Göktepes wird später wenige hundert Meter von der Sporthalle entfernt gefunden. Die Autopsie ergibt, "dass der Tod aufgrund von Gehirnblutungen sowie Blutungen im Gewebe, verursacht durch ein schweres Schädeltrauma, eingetreten ist". Außerdem weise der Körper der Leiche "viele schwere traumatische Läsionen und einen Rippenbruch" auf. Auf einem kleinen Friedhof am Rande einer Autobahn ist Metin Göktepe begraben worden. An seiner Beerdigung nahmen über 50 000 Menschen teil. Elf Polizisten, die an der Tötung Metin Göktepes beteiligt gewesen sein sollen, stehen seit 15 Monaten vor Gericht, ohne dass ein Ende des Prozesses absehbar ist. Auf den 22. Januar ist der nächste Verhandlungstag terminiert, zu dem wieder zwischen ein- und dreitausend Menschen in das zentralanatolische Afyon reisen werden, um für eine Verurteilung der Mörder in Uniform zu demonstrieren. "Ich vertraue den Demonstranten", so Fadime Göktepe, die Mutter des erschlagenen Journalisten, "mit ihnen können wir etwas erreichen." Dem Staat traut sie nicht mehr. |
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