Heft 6/97 |
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Der Fall Metin Göktepe |
Von Pascal Beucker |
Kurz vor seinem Tod schrieb der laizistische Journalist und Schriftsteller Turan Dursun in seiner Kolumne für die türkische Zeitung 2000e Dogru: "Wir versuchen die Welt zu verändern. Natürlich werden Drohbriefe kommen. Doch sie werden den Gang der Zeit nicht aufhalten können. Die im Gestrüpp der Dunkelheit verborgenen Lügen werden aufgedeckt werden. Für eine schöne Welt, eine helle Welt, eine Welt, in der Freiheit und Vernunft regieren, sind die Anstrengungen so notwendig wie Wasser und Luft." Am 4. September 1990 durchlöcherten sieben Kugeln seinen Körper. Die Mörder entkamen unerkannt. Nicht anders erging es Kemal Kilic. Er wurde am 18.Februar 1993 auf offener Straße von unbekannten Tätern erschossen. Oder Ugur Mumcu, der nicht einmal einen Monat vorher, am 24. Januar, Opfer eines Sprengstoffanschlages geworden war. Als kritischer Journalist lebt es sich in der Türkei gefährlich. Die internationale Journalistenvereinigung "Reporter ohne Grenzen" spricht von 154 gewaltsamen Übergriffen alleine 1996. 25 Journalisten wurden in den 90er Jahren ermordet. Das bislang letzte Opfer: der 27jährige Metin Göktepe. Am 11. April wurde der Prozeß gegen seine Mörder fortgesetzt. Das Besondere des Falles Göktepe ist, daß die Täter unbestreitbar feststehen: türkische Polizisten. Metin Göktepe war am 8. Januar 1996 verhaftet worden, als er über die Beerdigung von zwei politischen Gefangenen berichten wollte, die im Istanbuler Gefängnis Ümraniye erschlagen worden waren. Die Polizei brachte den sich als Journalisten Ausweisenden zusammen mit über 1.000 weiteren Verhafteten in eine Sporthalle. Göktepes Leiche wurde später wenige hundert Meter von ihr entfernt gefunden. Der Autopsiebericht stellte schwere körperliche Mißhandlungen fest. Die Todesursache war dem gerichtsmedizinischen Gutachten zufolge eine Gehirnblutung, verursacht von Knüppelschlägen. Die Ermordung des 27jährigen Reporters der linken Tageszeitung Evrensel löste eine landesweite Protestwelle aus. Die Journalistenverbände machten mobil, es kam zu Massenprotesten. An der Beerdigung Metin Göktepes nahmen mehr als 50.000 Menschen teil. Zunächst bestritten die Behörden, daß sich Göktepe zum Zeitpunkt seines Todes überhaupt in Haft befunden hätte. Auch die damalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller behauptete, Göktepe sei nie festgenommen worden, und falls doch, sei er vor seinem Tod wieder freigelassen worden. Dann sei er entweder von einer Mauer gefallen oder von einem Stuhl gekippt. Doch diese Darstellungen ließen sich nicht lange halten - Dutzende von Augenzeugen hatten gesehen, wo und wie Göktepe gestorben war. In schriftlichen Aussagen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß begründeten einige der tatbeteiligten Polizeibeamten, warum der Journalist sterben mußte: Er hätte die Nationalhymne auf Türkisch und den Gebetsruf auf Arabisch nicht auswendig gewußt. Dafür habe er "bestraft" werden müssen. Sechs Monate nach dem Mord begann aufgrund des öffentlichen Drucks der Prozeß gegen 48 Polizisten, die an der Tat beteiligt gewesen sein sollen. Er gleicht allerdings einer Farce. Zweimal wurde der Prozeßort auf Intervention des Justizministeriums aus "Sicherheitsgründen" verlegt: in Städte, die jeweils rund 800 Kilometer vom Tatort Istanbul entfernt sind - eine in der Türkei beliebte Variante, um die öffentliche Aufmerksamkeit zu reduzieren. Diese Strategie ist allerdings gründlich fehlgeschlagen: An den letzten beiden Verhandlungstagen am 6. Februar und am 11. April nahmen jeweils über 1.000 Menschen den beschwerlichen Weg auf sich und fuhren in das zentralanatolische Afyon, um den Prozeß zu beobachten. Alle türkischen Tageszeitungen schickten Reporter, die Fernsehsender Kamerateams. Wer allerdings wie schon zum ersten Verhandlungstag, der am 18. Oktober letzten Jahres in Aydin stattfand nicht erschien, waren die Angeklagten. Denn weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft halten ihre Anwesenheit für nötig. Anträge der Rechtsanwälte die die Familie Göktepe als Nebenkläger vertreten nach einem Erscheinen der Mörder in Uniform, werden konsequent abgelehnt. Elf Polizisten sind angeklagt, direkt an der Tötung Göktepes beteiligt gewesen zu sein, den restlichen wird Beihilfe vorgeworfen. Trotzdem ist keiner von ihnen in Untersuchungshaft genommen worden. Manche sind immerhin in einer Geheimsitzung, von der die Nebenklage ausgeschlossen war, vernommen worden jedoch nicht einmal alle. Eine Gegenüberstellung mit Augenzeugen fand bislang nicht statt. Bei einigen der Polizisten soll inzwischen sogar die Suspendierung vom Polizeidienst wieder aufgehoben worden sein. Doch Genaueres weiß auch das Gericht nicht. Der Vorsitzende Richter Kamil Serif teilte während des zweiten Verhandlungstages lapidar die Antwort des Istanbuler Polizeipräsidenten auf ein entsprechendes Auskunftsbegehren mit: "Keine Antwort". Offensichtlich ist, daß das Gericht nicht frei in seinen Entscheidungen ist. Sogar in der Frage des Tagungsraumes sieht es sich eng an die Direktiven der türkischen Regierung gebunden. Nachdem Justizminister Sevket Kazan öffentlich erklärt hatte, der Prozeß dürfe nicht weiterhin in einer Sporthalle stattfinden, wurde er für den dritten Verhandlungstag in einen kleinen, auch nach Ansicht des Gerichtes baufälligen, Gerichtsaal verlegt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde er woanders stattfinden, erklärte Richter Serif zu Beginn des Verhandlungstages. Die Nebenklage antwortete mit einem Befangenheitsantrag wegen fehlender Unanhängigkeit. So endete der dritte Verhandlungstag noch bevor er richtig begonnen hatte, denn das Gericht, das sich sichtlich unwohl in seiner Rolle als Erfüllungsgehilfe der Exekutive fühlte, nahm die Gelegenheit zur Vertagung umgehend war: Am 28. Mai wird nun erst mal ein anderes Schwurgericht über den Antrag der Nebenklage entscheiden. Die Verteidigung ist bislang auf den Mordvorwurf gegen ihre Mandanten nicht eingegangen. Auch den Schilderungen der vernommenen Zeugen, auf welch grausame Weise Göktepe zu Tode geprügelt wurde, widerspricht sie nicht. Statt dessen ergeht sie sich in schriller nationalistischer Propaganda und hält es generell nicht für zulässig, daß die Polizisten überhaupt angeklagt wurden. Die Verteidiger wissen, wo sie stehen: Einigen von ihnen konnten inzwischen sowohl enge Kontakte zum türkischen Geheimdienst MIT als auch zur faschistischen Partei MHP nachgewiesen werden. Ob es je zu einer Verurteilung kommen wird, ist mehr als zweifelhaft. Fadime Göktepe, die Mutter des erschlagenen Journalisten, ist jedenfalls skeptisch: "Angesichts der politischen und sozialen Lage in der Türkei glaube ich leider nicht, daß die Mörder verhaftet und zu einer gerechten Strafe verurteilt werden." Die linke Tageszeitung Evrensel, deren Mitarbeiter Metin Göktepe war, wird über den Ausgang des Prozesses jedenfalls nicht mehr berichten können. Überzogen mit Strafverfahren, unter anderem wegen "Aufstachelung zum Klassenhaß", mußte sie am 31. Oktober 1996 ihr Erscheinen einstellen. |
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