28.08.1997 |
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Geopferte Henker |
Von Pascal Beucker |
Die Folterer und mutmaßlichen Mörder des Journalisten Göktepe wurden zum ersten Mal dem Gericht vorgeführt."Ich vertraue den Demonstranten. Mit ihnen können wir etwas erreichen." Als Fadime Göktepe, die Mutter des von Polizisten ermordeten Journalisten Metin Göktepe, nach neunstündiger Fahrt aus dem Bus aussteigt, blickt sie auf die rund 2 000 Menschen, die sich einmal mehr an diesem 21. August zum 7. Verhandlungstag auf den Weg ins zentralanatolische Afyon gemacht haben. Seit einem Jahr dümpelt der Göktepe-Prozeß vor sich hin - doch in Vergessenheit ist er nicht geraten. Dafür hat der große öffentliche Druck gesorgt. Jetzt ist Bewegung in den Prozeß gekommen, der die Umstände der Ermordung Göktepes am 8. Januar 1996 in Polizeigewahrsam aufklären soll, doch bislang nicht mehr als eine Farce war. Erstmals sollen die angeklagten Polizeibeamten vor Gericht erscheinen. Heißt es. Doch Fadime Göktepe bleibt skeptisch: "Dem Staat traue ich nicht", bemerkt sie, als sie die Polizeiketten durchschreitet, die das Gerichtsgebäude weiträumig abschirmen. Die Demonstranten müssen zurückbleiben. Der Gouverneur von Afyon hat angeordnet, daß sie nicht vor das Gericht ziehen dürfen. Hundertschaften von Polizei und Jandarma, dem Militär unterstellte Sicherheitskräfte mit polizeilichen Aufgaben, sorgen dafür, daß die Anordnung befolgt wird. Um auf Nummer sicher zu gehen, sind noch Scharfschützen auf den Dächern postiert. Nur Rechtsanwälte, Journalisten und die Familie Göktepe, die als Nebenklägerin an dem Prozeß teilnimmt, werden durchgelassen. Der viel zu kleine Sitzungssaal im baufälligen Gerichtsgebäude ist wie an den vorherigen Malen hoffnungslos überfüllt. Ein Großteil der Journalisten findet nicht mal mehr einen Stehplatz und muß vor der Tür bleiben. Einige Stühle sind jedoch frei - sie werden von Jandarma bewacht. Es sind die Plätze für die Angeklagten. Am zweiten Verhandlungstag im Februar waren schon mal Stühle für sie aufgestellt worden - unnötigerweise. Danach verzichtete das Gericht auf die Bereitstellung von Sitzgelegenheiten für die zunächst 48, dann nur noch 11 Polizisten, denen die Ermordung von Metin Göktepe vorgeworfen wird. Der Vorsitzende Richter Kamil Serif ging offenbar - und zu Recht - davon aus, daß seine Vorladungen und Haftbefehle ohnehin nicht befolgt würden. Er erhielt noch nicht einmal vom Istanbuler Polizeichef eine Auskunft darüber, ob die Polizisten wieder in Dienst genommen worden waren. Diesmal sieht es anders aus. Kamil Serif ist abgelöst worden. Seit dem letzten Verhandlungstag Ende Juli hat Fatma Nilgun Ucar seinen Platz übernommen. Die neun per Haftbefehl gesuchten Polizisten haben sich nach persönlicher Intervention des Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz Anfang August den Justizbehörden gestellt. Mit ihrer Vorführung kann somit gerechnet werden. Doch noch sind die Stühle frei. Fatma Nilgun Ucar nimmt zusammen mit ihren beiden Beisitzern am Richtertisch Platz, eröffnet die Verhandlung - und wartet. Sie wirkt nervös, blättert in ihren Akten und blickt immer wieder zur Tür. Die Unruhe im Saal steigt. Eine Viertelstunde vergeht. Dann endlich: Sieben junge Leute werden hereingeführt. Saffet Hizarci, Burhan Koc, Murat Polat, Selcuk Bayraktaroglu, Ilhan Sarioglu, Tuncay Uzun und Fikret Kayacan sind zwischen 20 und 25 Jahre alt - und schauen aus, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Doch: Sie waren dabei, als Metin Göktepe zu Tode gefoltert wurde - das ist unbestritten. Einige der tatbeteiligten Polizeibeamten "begründeten" gar zynisch in schriftlichen Aussagen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß die Notwendigkeit einer "Bestrafung" Göktepes: Er habe die Nationalhymne auf türkisch und den Gebetsruf auf arabisch nicht auswendig gewußt. Nur die unmittelbaren Todesschläge will keiner von ihnen ausgeführt haben. Vier Angeklagte fehlen. Seydi Battal Köse, Sedai Korkmaz, Metin Kusat und Suayip Mutluer befinden sich zwar in Untersuchungshaft, doch ein Gefängnisarzt hat sie krankgeschrieben - unter anderem wegen Bronchitis. Die Atteste wirken für das Gericht wenig glaubwürdig. Richterin Ucar ordnet ihre Überprüfung durch einen anderen Arzt an. Die Vernehmung der erschienenen Polizisten gestaltet sich einsilbig. Ihr Angaben zur Person bleiben unvollständig: Unisonso weigern sie sich, ihren Wohnort anzugeben - "aus Sicherheitsgründen". Er könne jedoch bei der zuständigen Polizeidienststelle in Istanbul erfragt werden. Das hat das Gericht seit einem Jahr ohne Erfolg versucht. Zur Sache äußern sich die Angeklagten nicht. Alle Sieben machen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Dafür übernimmt nun die Verteidigung der Polizisten, in den vorherigen Verhandlungstagen vor allem durch nationalistische Propaganda aufgefallen, die Initiative: Sie stellt einen Befangenheitsantrag gegen Fatma Nilgun Ucar. Ihr Mann sei schließlich ebenfalls Richter in Afyon, und sie würde nur seinen Anweisungen folgen. Daher sei sie nicht unabhängig. Belege für diese These liefern die drei Verteidiger und eine Verteidigerin freilich nicht. Sie führen als weiteren Grund für den Antrag an, daß die Haftbefehle gegen "unsere ehrenwerten Polizisten" Unrecht seien, da in den ersten Verhandlungstagen das Gericht anders entschieden hätte und sich an die damaligen Entscheidungen halten müsse. Die Verteidigung spielt auf Zeit, hofft, daß das Gericht - wie schon bei einem Befangenheitsantrag der Nebenklage gegen den damaligen Richter Serif im April - die nächsthöhere Instanz entscheiden läßt. Dadurch wäre wieder zumindest ein Monat gewonnen. Außerdem bestünde dort eine realistische Chance auf Annahme und damit verbunden auf die Einsetzung eines neuen, ihr wohlgewogeneren Richters. Doch das Gericht läßt sich darauf nicht ein. Nach zwanzigminütiger Beratung teilt es seinen Beschluß mit: Es weist den Befangenheitsantrag als unbegründet zurück. Damit haben die Verteidiger offenbar nicht gerechnet. Sie reagieren ungehalten. An der abschließenden Antragsberatung beteiligen sie sich nicht mehr. Sie würden das Gericht nicht mehr anerkennen. Das Gericht zeigt sich ungerührt. Es nimmt die verbalen Ausfälle der Verteidigung zu Protokoll, beschließt die Aufrechterhaltung der Haftbefehle und legt als nächsten Prozeßtermin den 15. September fest. Dann soll es auch erstmalig zu einer Gegenüberstellung der Angeklagten mit Augenzeugen des Mordes kommen. "Heute ist der Anfang des Prozesses", kommentiert Nail Güreli, Kolumnist der Tageszeitung Milliyet und Vorsitzender des türkischen Jornalistenverbandes, den Verlauf des 7. Verhandlungstag im Göktepe-Prozeß. "Die Menschen werden nur dann der Justiz vertrauen, wenn sie funktioniert", so Güreli. Davon hätte bislang nicht die Rede sein können. Jetzt sieht er "positive Entwicklungen". In der Tat scheint nun das Gericht entschlossen zu sein, das Verfahren zu einem zügigen Ende zu bringen. Prozeßbeobachter wie der sozialdemokratische Parlamentsabgeordnete Sabri Ergül rechnen inzwischen mit einer Verurteilung der Angeklagten. "Die Justiz will ihre Aufgabe jetzt erfüllen", bemerkt Sabri beim Verlassen des Gerichtsgebäudes. "Ich und die Öffentlichkeit werden alles daran setzen, daß die verantwortlichen Mörder gerecht verurteilt werden. Ich werde bis zur Beendigung des Prozesses nicht nachlassen", erklärte Fadime Göktepe im Februar dieses Jahres entschlossen. Doch ihr Kampf schien aussichtslos. Zu offensichtlich war das eindeutige Interesse des türkischen Staates, seine Angestellten zu schützen. Mittlerweile hat die Regierung gewechselt. Die neue Regierung will Punkte gerade bei den Medien machen. Dafür muß das Problem Göktepe-Prozeß vom Tisch - und das heißt: die angeklagten Polizisten müssen wohl geopfert werden. Als Fadime Göktepe jetzt wieder in ihren Bus steigt, um zurück nach Istanbul zu fahren, ist ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen. Zum ersten Mal hat sie das Gefühl, daß die uniformierten Mörder ihres Sohnes doch noch für ihre grausame Tat bestraft werden könnten. An eine demokratische Türkei glaubt sie deswegen allerdings noch nicht. |
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