07.08.1997



Bewegung im Göktepe-Prozeß

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*   Bewegung im Göktepe-Prozeß
Von Pascal Beucker

Türkei: Erstmals gibt es eine realistische Möglichkeit, daß die des Mordes angeklagten Polizisten vor Gericht erscheinen. 

Sechs der neun wegen Mordes an dem linken Journalisten Metin Göktepe per Haftbefehl gesuchten Polizisten haben sich nach Angaben der türkischen Regierung den Justizbehörden gestellt. Sie folgten damit einer Ankündigung des Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz.

Insgesamt sind 48 Polizisten angeklagt, an der Ermordung des Reporters der inzwischen geschlossenen Tageszeitung Evrensel am 8. Januar 1996 beteiligt gewesen zu sein. Gegen elf Angeklagte wird wegen des Verdachts auf gemeinschaftlichen Mord ermittelt. Ihnen droht eine Haftstrafe zwischen 24 und 30 Jahren. Den restlichen 37 wird Beihilfe, unterlassene Hilfeleistung oder Mitwisserschaft vorgeworfen. Ihr Verfahren ist inzwischen von der Hauptverhandlung abgetrennt worden.

Bislang erschien keiner der Angeklagten in dem seit rund einem Jahr laufenden Prozeß vor Gericht. Vorladungen befolgten sie nicht. Die im Mai dieses Jahres erlassenen Haftbefehle ignorierten die Polizeibehörden. Auch eine persönliche Anweisung von Mesut Yilmaz an den Innenminister, für die Vorführung der Angeklagten zum letzten Verhandlungstag am 24. Juli zu sorgen, blieb folgenlos. Indem sich sechs der angeklagten Polizisten nun den Behörden gestellt haben, ersparten sie Yilmaz eine erneute Blamage. Damit besteht eine realistische Möglichkeit, daß sie zum nächsten Prozeßtag am 21. August dem Gericht erstmalig vorgeführt werden. Unklar ist allerdings, wo sich die drei noch fehlenden mit Haftbefehl gesuchten Beschuldigten befinden.

Unterdessen hat die türkische Polizei die Regierung erneut in die Bredouille gebracht. Am Rande einer Demonstration islamischer Fundamentalisten am 29. Juli in Ankara wurden mehrere Journalisten von Polizisten krankenhausreif geschlagen. Bei der nichtgenehmigten Demonstration war es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Bereitschaftspolizei und Islamisten gekommen, bei denen elf Journalisten durch Schlagstockeinsatz teilweise schwer verletzt wurden. Einige Polizisten sollen zudem den Demonstranten zugerufen haben, sie sollten ihre Steine nicht auf die Polizisten, sondern auf die Journalisten werfen. Die Journalistenverbände sprachen daraufhin in Erklärungen von "Staatsterrorismus". Hunderte Journalisten demonstrierten in Ankara und Istanbul gegen Polizeiwillkür.

Staatspräsident Süleyman Demirel verurteilte das Vorgehen der Polizei, und Mesut Yilmaz entschuldigte sich für die Übergriffe auf Journalisten. Er habe nun die Sicherheitskräfte aufgefordert, bei Demonstration Pressevertreter zu verschonen und ihnen die Arbeit zu erleichtern. Nach Angaben des Innenministers Murat Basesgioglu sind inzwischen drei an dem Einsatz in Ankara beteiligte Polizeibeamte vom Dienst suspendiert worden.

Polizeigewalt gegen Journalisten gehört in der Türkei zum Alltag. Laut Reporter ohne Grenzen kam es alleine 1996 zu 154 gewaltsamen Übergriffen. Die Zahl der seit 1992 bei ihrer Arbeit festgenommenen Journalisten beträgt nach Statistiken des türkischen Presserates an die 400. Der Provinzgouverneur von Ankara, Erdogan Sahinoglu, teilte am vergangenen Freitag mit, daß die Polizei bei Demonstrationen zukünftig eigens Beamte abstellen wolle, um Journalisten vor prügelnden Polizisten zu schützen.


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