31.07.1997



Polizeischutz für Göktepe-Mörder

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*   Polizeischutz für Göktepe-Mörder
Von Pascal Beucker

Trotz der Ankündigung des neuen türkischen Regierungs-Chefs Yilmaz erschienen die elf des Mordes an dem linken Journalisten Metin Göktepe angeklagten Polizisten nicht vor Gericht. Der Sicherheitsapparat sabotiert den Prozeß.

Das Datum hätte nicht symbolträchtiger gewählt werden können: Der 24. Juli ist traditionell der Tag der Presse in der Türkei. Die Erwartungen an den 6. Verhandlungstag im Prozeß gegen die mutmaßlichen Mörder des linken Journalisten Metin Göktepe waren groß. Der neue Ministerpräsident Mesut Yilmaz hatte in einem Pressegespräch vollmundig angekündigt, daß die angeklagten Polizisten erstmalig vor Gericht erscheinen würden. Er hätte eine entsprechende Anweisung an seinen Innenminister gegeben. Rund ein Jahr nach Prozeßbeginn erhofften viele nun endlich eine Wende in dem bisher einer Farce gleichenden Verfahren. Über zweitausend Menschen – darunter ein Großaufgebot der türkischen Medien – waren in die südanatolische Provinzstadt Afyon gereist, um vor Ort zu überprüfen, was von Yilmaz´ Worten zu halten ist. Sie wurden enttäuscht: Die elf Beschuldigten erschienen erneut nicht, und auch die vom Gericht angeordneten Haftbefehle gegen fünf von ihnen sind erneut von den Polizeibehörden nicht ausgeführt worden. Eine Blamage für die Regierung und das Gericht. Dem Gericht blieb nichts anderes übrig, als die Haftbefehle von fünf auf neun Angeklagte zu erweitern und eine Untersuchung darüber anzuordnen, wer für die Ignorierung der bisherigen Haftbefehle im Polizeiapparat verantwortlich ist. Danach vertagte es sich. Fadime Göktepe, Mutter des ermordeten Journalisten, ist mit ihrer Geduld am Ende: "Mafia" und "Das sind keine Menschen, das sind Schweine", rief sie empört über die weitere Verschleppung des Verfahrens beim Verlassen des Gerichtssaales. "Mit zunehmender Dauer liefert dieses Verfahren den Beweis, daß in der heutigen Türkei weder die große Politik noch die Justiz genügend Macht besitzen, um die allgegenwärtige Polizeiwillkür zu bekämpfen", so Bernd Wagner, Rechtanwalt und Strafrechtsprofessor an der Uni Bremen. Wagner hatte als Mitglied einer europäischen Menschenrechtsdelegation den Prozeßtag in Afyon beobachtet.

Der Fall Göktepe bewegt die türkische Öffentlichkeit inzwischen seit über eineinhalb Jahren. Am 8. Januar 1996 war der 27jährige Metin Göktepe in Istanbul verhaftet worden, als er von der Beerdigung zweier im Istanbuler Gefängnis Umraniye zu Tode geprügelter Häftlinge berichten wollte. Zusammen mit über 1.000 weiteren Verhafteten wurde der sich als Journalist Ausweisende von der Polizei in eine Sporthalle verfrachtet. Wenige hundert Meter davon entfernt fand man später seine Leiche. Der Autopsiebericht stellte schwere körperliche Mißhandlungen fest. Die Todesursache war dem gerichtsmedizinischen Gutachten zufolge eine Gehirnblutung, verursacht von Knüppelschlägen.

Die Ermordung des Reporters der linken Tageszeitung "Evrensel" löste eine landesweite Protestwelle aus. Es kam zu Massenprotesten, die Journalistenverbände machten mobil. An der Beerdigung Metin Göktepes nahmen mehr als 50.000 Menschen teil. Zunächst leugneten sowohl der Polizeipräsident von Istanbul als auch der türkische Innenminister, daß sich Göktepe zum Zeitpunkt seines Todes überhaupt in Haft befunden habe. Die damalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller schloß sich ihrer Sichtweise an: Göktepe sei nie festgenommen worden, und falls doch, sei er vor seinem Tod wieder freigelassen worden. Zwei Todeserklärungsvarianten wurden staatlicherseits angeboten: Nach seiner Freilassung wäre er entweder von einer Mauer gefallen, oder er habe sich in ein Teehaus begeben und sei dort von einem Stuhl gekippt. Doch diese Darstellungen ließen sich nicht lange halten, denn Dutzende von Augenzeugen hatten gesehen, wie und wo Göktepe gestorben war.

Das Innenministerium setzte eine Untersuchungskommission ein, die zum Ergebnis kam, daß Göktepe von Polizisten zu Tode gefoltert worden ist. In schriftlichen Aussagen vor einem ebenfalls eingesetzten parlamentarischen Untersuchungsausschuß begründeten einige der tatbeteiligten Polizeibeamten, warum der Journalist sterben mußte: Er hätte die Nationalhymne auf türkisch und den Gebetsruf auf arabisch nicht auswendig gewußt. Er sei für seine Unkenntis "bestraft" worden.

Sechs Monate nach der Ermordung begann der Prozeß gegen 48 Polizisten, die an der Tat beteiligt gewesen sein sollen. Inzwischen wird nur noch gegen die elf Hauptbeschuldigten verhandelt. Ihnen droht eine Haftstrafe zwischen 24 und 30 Jahren. Doch keiner von ihnen ist bislang vor Gericht erschienen, keiner in Untersuchungshaft genommen worden. Eine Gegenüberstellung mit Augenzeugen fand nicht statt. Bei einigen der Polizisten soll inzwischen sogar die Suspendierung vom Polizeidienst wieder aufgehoben worden sein. Doch genaueres weiß auch das Gericht bis heute nicht. Auf entsprechende Auskunftsbegehren des leitenden Richters Kamil Serif gab der Istanbuler Polizeipräsident keine Antwort. Dem Gericht wurden nicht einmal die Adressen der Angeklagten mitgeteilt.

Der 6. Verhandlungstag könnte trotz des Nicht-Erscheinens der Angeklagten einen Wendepunkt im Göktepe-Prozeß markieren. Für die türkische Politik ist er inzwischen zu einem Problem geworden, "das gelöst werden muß", wie Staatspräsident Demirel noch am Abend des 24. Juli versicherte. Die türkische Presse sieht in dem Prozeß einen exemplarischen Fall für den Zustand der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. Er ist für sie "Ausdruck dafür, daß man der Presse und den Journalisten in der Türkei keinen freien Raum lassen möchte", wie der Vorsitzende des türkischen Journalistenverbandes, Nail Güreli, feststellte. Auch die internationale Aufmerksamkeit steigt. So entsandten sowohl die deutsche als auch die schweizerische Botschaft erstmalig Beobachter zur Verhandlung, um sich ein konkretes Bild über die "Rechtsstaatlichkeit" der Türkei zu machen. Da macht es sich nicht gut, wenn der Eindruck eines verselbständigten Polizeiapparats vermittelt wird, der sich sowohl über Anordnungen der Gerichte als auch der Regierung hinwegsetzt. Will die Türkei ihre ohnehin arg raponnierte Fassade eines "Rechtsstaates" aufrechterhalten, muß sie Bewegung in den Prozeß bringen. Mesut Yilmaz hat bereits reagiert. Er teilte mit, er hätte eine feste Zusicherung der Istanbuler Polizeipräsidenten, daß sich die angeklagten Polizisten am kommenden Dienstag den Behörden stellen und dann in Untersuchungshaft genommen würden. Sie würden entsprechend am nächsten Prozeßtag dem Gericht vorgeführt werden. Yilmaz steht nun unter Zugzwang. Wenn sich auch diese Ankündigung als Seifenblase erwiese, bedeutete dies für ihn einen gefährlichen Imageverlust.

Kurz vor seinem Tod schrieb der laizistische Journalist und Schriftsteller Turan Dursun in seiner Kolumne für die türkische Zeitung "2000e Dogru": "Wir versuchen die Welt zu verändern. Natürlich werden Drohbriefe kommen. Doch sie werden den Gang der Zeit nicht aufhalten können. Die im Gestrüpp der Dunkelheit verborgenen Lügen werden aufgedeckt werden. Für eine schöne Welt, eine helle Welt, eine Welt, in der Freiheit und Vernunft regieren, sind die Anstrengungen so notwendig wie Wasser und Luft." Am 4. September 1990 durchlöcherten sieben Kugeln seinen Körper. Die Mörder entkamen unerkannt. Nicht anders erging es Kemal Kilic. Er wurde am 18.Februar 1993 auf offener Straße von unbekannten Tätern erschossen. Oder Ugur Mumcu, der nicht einmal einen Monat vorher, am 24. Januar, Opfer eines Sprengstoffanschlages geworden war.

Als kritischer Journalist lebt es sich in der Türkei gefährlich. Die internationale Journalistenvereinigung "Reporter ohne Grenzen" spricht von 154 gewaltsamen Übergriffen alleine 1996. 25 Journalisten wurden in den 90er Jahren ermordet. Das bislang letzte Opfer war Metin Göktepe. Vielleicht besteht nun erstmals die Chance, daß die Mörder zur Verantwortung gezogen werden. Am 21. August wird der Göktepe-Prozeß fortgesetzt.


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