07.11.1997 |
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Wie Metin Göktepe ermordet wurde |
Von Pascal Beucker |
Drei Jahre arbeitete der 27jährige Metin Göktepe als Journalist. Zuerst als fester freier Mitarbeiter für die wöchentlich erscheinende Zeitschrift Gerçek, dann als Redakteur der Tageszeitung Evrensel. Er schrieb über die dunklen Seiten der Türkei: über die alltägliche Gewalt in der Gesellschaft, über Demonstrationen, die die Polizei zusammenknüppelte, über Beerdigungen von Oppositionellen, die in Polizeihaft zu Tode kamen. Er berichtete über den stillen Protest der Samstagsmütter, die sich Woche für Woche im Istanbuler Stadtteil Galatasaray einfinden, um auf das Schicksal ihrer Söhne und Töchter, die vermißt werden oder von den Todesschwadronen ermordet worden sind, aufmerksam zu machen. Ein Ort, den der linke Journalist oft aufsuchte, war die Istanbuler Gerichtsmedizin, denn hier werden die offiziellen Autopsiebefunde getöteter Menschen bekanntgegeben. Als die Evrensel-Redaktionskonferenz am Morgen des 8. Januars 1996 berät, wer über die Begräbnisfeierlichkeiten für Orhan Özen und Riza Baybas berichten könnte, ist die Entscheidung schnell gefallen: Das ist eine Sache für Metin Göktepe. Im Gefängnis Ümraniye, dem Sondergefängnis für politische Gefangene in Istanbul, war es am 4. Januar zu einer Revolte gekommen. Sie wurde blutig niedergeschlagen. Drei Gefangene starben sofort, einer erlag später seinen Verletzungen. Die Häftlinge waren mit Eisenstangen zu Tode geprügelt worden. Orhan Özen und Riza Baybas waren zwei der Opfer. Metin Göktepe macht sich auf den Weg zur Gerichtsmedizin. Die Leichen sollen dort abgeholt werden, um sie in das alewitische Gemeindezentrum im Istanbuler Stadtteil Alibeyköy zu bringen. Hier ist die Trauerfeier geplant. Als Göktepe eintrifft, warten schon zahlreiche Journalisten, Angehörige und Anwälte der getöteten Häftlinge in der Leichenhalle auf die Erledigung der Formalitäten. Um 11 Uhr ist es soweit: Die Särge werden auf einen Leichenwagen geladen, und in Begleitung von mehreren Polizeifahrzeugen macht sich der Troß auf den Weg nach Alibeyköy. In einem Auto der links-liberalen Tageszeitung Cumhuriyet fährt Göktepe gemeinsam mit drei Kollegen, dem Cumhuriyet-Reporter Kerem Ilgaz, Murat Inceoglu von Yeni Yüzyil und Sati Kaya von der Nachrichtenagentur UBA, hinterher. Doch unterwegs verlieren sie den Anschluß an den Begräbniskonvoi. So treffen sie später in Alibeyköy ein. Bereits am Ortseingang geraten die vier Journalisten in eine erste Polizeikontrolle. Doch sie werden durchgelassen. An der zweiten Polizeisperre ist ihre Fahrt zu Ende. Die Reporter steigen aus und wollen zu Fuß die Sperre passieren. Die Polizisten fordern sie auf, sich als Journalisten auszuweisen. Sati Kaya wird durchgelassen. Er hat als einziger einen »gelben« Presseausweis. Dieser wird vom Staat ausgestellt - und kostet viel Geld. Die anderen verfügen nur über von ihrer Zeitung ausgestellte Ausweise - die wollen die Polizisten nicht akzeptieren. Göktepe, Ilgaz und Inceoglu begeben sich in ein Kaffeehaus in der Nähe, um zu beraten, wie sie doch noch zur Beerdigungsfeier kommen können. Sie beschließen, die Polizisten davon überzeugen zu wollen, sie durchzulassen und kehren daraufhin zur Absperrung zurück. Doch die Polizei zeigt sich unnachgiebig. Sie hätte die Anweisung, niemanden ohne »gelbe« Pressekarte durchzulassen. Doch so einfach lassen sich die Journalisten nicht abspeisen. Sie kennen diese Polizeitaktik, Schikanen sind sie gewöhnt. Die Diskussion mit den Polizisten endet allerdings abrupt, als der stellvertretende Hauptkommissar Mehmet Isbitiren zu den Debattierenden stößt: »Du redest zuviel, ich nehme dich fest«, teilt er Metin Göktepe mit. Polizisten ergreifen Göktepe. Seine beiden Kollegen versuchen ihm zu helfen - ohne Erfolg. Göktepe wird zu einem Bus gebracht, der schon mit über hundert Verhafteten gefüllt ist. Die Polizei hat sich entschlossen, die Trauerfeier gewaltsam aufzulösen. Laut Polizeiprotokollen verhaftet sie insgesamt 1.052 Menschen - Trauernde, Demonstranten und auch unbeteiligte Passanten. 308 werden auf die Polizeiwachen von Alibeyköy, Küçükköy, Sehit Atif Ödül, Eyüp und Otokçilar gebracht, 39 ins »Amt für Terrorbekämpfung«. 705 landen in der Sporthalle von Eyüp - darunter Metin Göktepe. Laut Augenzeugenberichten wird er bereits im Bus mit Schlägen traktiert. In der Sporthalle empfangen Polizisten des Mobilen Einsatzkommandos die Festgenommenen mit Beschimpfungen und Schlagstöcken. »Ich bin Metin Göktepe und Journalist. Ich bin Reporter der Zeitung Evrensel Gazetesi. »Warum schlagen Sie mich?« ruft Göktepe beim Betreten der Halle. Das ist sein Todesurteil. »Der soll Journalist sein? Dem verpassen wir eine Spezialbehandlung«, so ein Polizist. Dutzende Polizisten stürzen sich auf Göktepe, treten ihn, schlagen mit Fäusten und Knüppeln auf ihn ein, bis er bewußtlos liegenbleibt. Als er wieder zu sich kommt, ist ihm schwarz vor Augen. Ihm ist schlecht. Göktepe wird in eine der Toiletten geschleppt. Sein blutiges Gesicht wird gewaschen, sein Kopf unter Wasser gehalten, um ihn wieder auf die Beine zu bringen. Man bringt ihn in das Kohlenlager der Sporthalle. Ein dort angestellter Masseur wird gerufen, um sich um ihn zu kümmern. Wer sich bei Sportveranstaltungen um Lädierte kümmern kann, wird doch wohl auch einen verletzten Journalisten wieder auf die Beine bringen. Ein Arzt wird nicht gerufen. Der Masseur legt Göktepe einen kalten feuchten Umschlag auf das geschundene Gesicht und gibt ihm ein Lahmacun, eine türkische Pizza, zu essen und Ayran zu trinken. Er glaubt, die Übelkeit Göktepes beruhe auf Hunger. Doch Göktepes Zustand bessert sich nicht. Immer wieder fällt er in Bewußtlosigkeit. In der Erwartung, an der frischen Luft käme er vielleicht wieder zu sich, bringen zwei Polizisten den fast leblosen Mann in den Garten der Sporthalle. Dort überläßt man ihn seinem Schicksal. Göktepe stirbt. Am Abend des 8. Januar meldet sich ein anonymer Anrufer bei der Evrensel-Redaktion und teilt mit, Metin Göktepe sei von Polizisten erschlagen worden. Die Leiche wird später wenige hundert Meter von der Sporthalle entfernt gefunden. Die Autopsie ergibt, »daß der Tod aufgrund von subduralen und arachnoidalen Gehirnblutungen sowie Blutungen im Gewebe, verursacht durch ein schweres Schädeltrauma, eingetreten ist«. Außerdem weise der Körper der Leiche »sehr viele schwere traumatische Läsionen und einen Rippenbruch« auf. |
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